Der Zusammenbruch

Am 14. August 1918 fand im deutschen Hauptquartier im belgischen Spa ein Treffen zwischen Kaiser Karl und Kaiser Wilhelm statt, bei dem der deutsche Generalstabschef Hindenburg und dessen Stellvertreter Ludendorff erstmals aussprachen, was ohnedies offensichtlich war: Die Unmöglichkeit eines „Siegfriedens“. 

Es herrschte aber weiterhin Uneinigkeit über das weitere Vorgehen: Karl betonte die Notwendigkeit sofortiger Friedensgespräche. Die deutsche Seite wollte hingegen zuerst einen vorteilhaften Status quo schaffen, um die Position bei den künftigen Verhandlungen zu stärken. Während die deutsche Heeresleitung auf eine Fortsetzung der Kampfhandlungen drängte, lehnten der österreichische Kaiser und sein neuer Außenminister Graf Burián mit dem Hinweis auf die katastrophale Lage in Armee und im Hinterland eine weitere Offensive an der italienischen Kriegsfront oder in Rumänien als schlichtweg unmöglich ab.

Bald darauf veränderte sich die Kriegslage dramatisch und zuungunsten der Mittelmächte. Der Versuch der deutschen Heeresleitung, durch eine massive Offensive an der Westfront die alliierten französisch-britischen Armeen vor der Landung der Amerikaner zurückzudrängen, scheiterte im Sommer 1918. Die Mittelmächte bekamen nun die geballte Stärke der US-Armee zu spüren. Anfang Oktober 1918 kam es zum Zusammenbruch der deutschen Frontlinie im Westen. Auch an der Balkanfront hatten die Armeen der Mittelmächte dem Vorrücken der alliierten Truppen nichts mehr entgegenzusetzen.

Noch verzweifelter war die Lage der österreichischen Armee am italienischen Kriegsschauplatz. Aufgrund von Versorgungsengpässen und Materialmangel hatte man kaum noch Kraft für Rückzugsgefechte. Die allgemeine Erschöpfung führte auch zu einem Verfall der Disziplin in der k. u. k. Armee. Desertion war bereits seit langem ein großes Problem, aber nun war die Armeeführung mit Massendesertionen konfrontiert: Ende des Sommers 1918 waren 230.000 Mann fahnenflüchtig.

Parallel dazu zeichnete sich der Zusammenbruch der Autorität der staatlichen Behörden im zivilen Hinterland ab. Politischer Widerstand wurde immer offener geäußert, aber auch gewaltsame Ausschreitungen waren an der Tagesordnung.

Am 16. Oktober 1918 ließ Kaiser Karl das „Völkermanifest“ veröffentlichen – ein verzweifelter und zugleich unzulänglicher Versuch zu retten, was zu retten ist. Doch der Zusammenbruch der Doppelmonarchie war nicht mehr aufhalten: Mitte Oktober nahm die Desintegration Österreich-Ungarns mit Rasanz zu.

Am 26. Oktober löste Karl schließlich mittels eines Telegramms an Kaiser Wilhelm das Bündnis mit Deutschland und ließ ein umfassendes Friedensangebot Österreichs an die Westmächte folgen. Die Armee befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Auflösung. So rief die ungarische Regierung am 29. Oktober die ungarischen Regimenter vom italienischen Kriegsschauplatz ab. Das folgende Chaos in der Armeeführung führte zum endgültigen Zusammenbruch der Kommandostruktur und zu Meuterei und Befehlsverweigerung in den Mannschaften.

Angesichts des Zerfalls schloss Österreich-Ungarn am 3. November ein Waffenstillstandsabkommen mit den Entente-Mächten. Aufgrund von Kommunikationsproblemen legten die verbliebenen österreichischen Einheiten ihre Waffen verfrüht nieder, wodurch 360.000 Mann in den letzten Stunden des Krieges in italienische Kriegsgefangenschaft gerieten.

Gleichzeitig übergab Kaiser Karl den Oberbefehl ohne dessen Wissen an Feldmarschall Baron Kövess von Kövessháza – dieser erfuhr erst zwei Tage später von seiner „Beförderung“. Um zu verschleiern, dass der Kaiser den Waffenstillstand abgeschlossen hatte, wurde die Ernennung auf den 2. November rückdatiert.

Bibliografie 

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Gottsmann, Andreas (Hrsg.): Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, Wien 2007    

Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Aktualisierte und erweiterte Studienausgabe, Paderborn/Wien [u.a.] 2009        

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Ereignis

    Beginn der Piaveschlacht

    Die letzte Offensive des k. u. k. Heeres am italienischen Kriegsschauplatz scheitert.

  • Objekt

    Auf der (Fahnen)Flucht

    Desertion war ein Phänomen, das die Armeen im Ersten Weltkrieg alle vier Jahre lang begleitete – so auch die multinationale Habsburgerarmee. Diese amtliche Kundmachung aus dem Jahr 1915 thematisiert in drei Sprachen (Ungarisch, Deutsch und Serbisch) Fälle von Desertion durch Kriegsgefangene und deren „absichtliche“ Unterstützung durch die heimische Zivilbevölkerung. Diese wird – als „Verbrechen gegen Heereslieferungen“ – unter „unerbittlich[e]“ Bestrafung gestellt

  • Person

    Wilhelm II.

    Seit 1888 Kaiser des Deutschen Reiches, betonte Wilhelm als Herrscher die neue Rolle Deutschlands als Großmacht.

  • Person

    Karl I.

    Der letzte Kaiser bestieg 1916 den Thron und regierte bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im November 1918.