Der Krieg nach dem Krieg – Aufarbeitung, Heimkehr und Rückschau

Die von den Literaten aufgenommenen Themen waren vielfältig. Sie reichten von der Kriegsbegeisterung über die Kriegspropaganda bis zu Schlachtenschilderungen mit individuellen Erlebnissen und Gefühlen. Ebenso unterschiedlich waren die Textsorten, die eingesetzt wurden – etwa Tagebucheinträge, Essays, Gedichte, Dramen und Romane.

Schilderungen kamen von Autoren, die an der Front kämpften und von jenen, die sich im Hinterland aufhielten. Sie wurden unmittelbar während der Kriegsereignisse verfasst, aber auch erst nach dem Krieg, dies vielfach als Akt der Aufarbeitung des eigentlich Unfassbaren. So avancierte der Erste Weltkrieg zum dominanten Thema der Literatur nach 1918. Ernst Jüngers Buch In Stahlgewittern basiert auf Tagebuchaufzeichnungen, die er an der Westfront zwischen 1915 und 1918 angefertigt hatte und in verschiedenen Versionen ab 1920 publizierte. Jünger schilderte den Krieg als schicksalshafte Naturgewalt, er bewertete nicht und nahm auch nicht direkt erkennbar Stellung. Dafür kam ihm seine Karl May-Lektüre in Erinnerung und er beschrieb sich als abenteuerlustigen Old Shatterhand an der Kriegsfront: „Tertianer-Erinnerungen aus Karl May kamen mir ins Gedächtnis, als ich so auf dem Bauche durch betautes Gras und Distelgestrüpp rutschte ...“ Heiner Müller merkte an: „Jüngers Problem ist ein Jahrhundertproblem: Bevor Frauen für ihn eine Erfahrung sein konnten, war es der Krieg.“

Flucht, Desertion, deren Motive und Folgen bildeten ein häufiges Motiv der Kriegsliteratur. So schildert Stefan Zweigs kurze Erzählung Episode am Genfer See (1926) die Geschichte des russischen Soldaten Boris, der nach einer Schussverletzung aus dem Lazarett flieht und in erschöpftem Zustand aus dem Genfer See gezogen wird. Zweig konfrontierte gegensätzliche Welten, jene des Kampfes und die eines idyllischen Urlaubsorts, und stellte ein Massenschicksal anhand der Geschichte eines Individuums dar. Am Ende blieben nur mehr Resignation und Kapitulation: Boris ertränkt sich im See, man begräbt ihn, stellt ein Holzkreuz auf sein Grab, „eines jener kleinen Holzkreuze über namenlosem Schicksal, mit dem jetzt unser Europa bedeckt ist von einem bis zum anderen Ende“.

Die Situation der Heimkehrer bildete einen weiteren Stoff vieler literarischer Produktionen. Dabei ging es um das Trauma des Kriegs im Rucksack der Erinnerungen, die Entfremdung von den Daheimgebliebenen, aber auch von der Heimat selbst, die Orientierungslosigkeit nach dem Aufbrechen der alten Ordnungen, insbesondere in Österreich, wo nichts mehr so war wie zuvor. Joseph Roth stellte im Roman Die Flucht ohne Ende (1927) – im Untertitel als „Bericht“ bezeichnet – das Umherirren des Kriegsheimkehrers Franz Tunda dar, der auf der Flucht aus der russischen Gefangenschaft in die russische Revolution gerät, dann ins zerbrochene Österreich, später über Deutschland nach Paris kommt und sich schließlich in einer von Beziehungslosigkeit und Entfremdung geprägten Existenz verliert, denn „So überflüssig wie er war niemand in der Welt.

Kurt Tucholsky blickte knapp vor Anbruch des ersten Friedensjahres in Silvester (1918) resümierend auf die Kriegsjahre zurück:

Vier lange Jahre.
Es hieß sich immer wieder, wieder ducken
und schweigen und herunterschlucken.
Der Mensch war Material und Heeresware.“

Tucholsky machte Schluss mit Kriegsidylle, Heldenmut und Kameradschaftsgeist, das Individuum, das lyrische Ich sitzt bei ihm vereinsamt vor einem Glas Wein und dem Bild des verlassenen Kaisers, er benennt die Verantwortlichen, rechnet ab und mahnt: „Vergeßt Ihr das, Denkt stets daran, wie jene Alten sungen!

Bibliografie 

Jünger, Ernst: In Stahlgewittern. Unter: http://www.gutenberg.org/files/34099/34099-h/34099-h.htm (19.06.2014)

Roth, Joseph: Die Flucht ohne Ende. Unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/4268/1 (19.06.2014)

Zweig, Stefan: Episode am Genfer See. Unter: http://www.dhhh.eu/pdf/17StefanZweig.pdf (19.06.2014)

Tucholsky, Kurt: Silvester. Unter: http://www.textlog.de/tucholsky-silvester.html (19.06.2014)

 

Zitate:

„Tertianer-Erinnerungen aus Karl May ...": Jünger, Ernst: In Stahlgewittern. Unter: http://www.gutenberg.org/files/34099/34099-h/34099-h.htm (19.06.2014)

„Jüngers Problem ist ein Jahrhundertproblem ...“: Müller, Heiner: Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen, Köln 1992,  282

„eines jener kleinen Holzkreuze ...": Zweig, Stefan: Episode am Genfer See. Unter: http://www.dhhh.eu/pdf/17StefanZweig.pdf (19.06.2014)

„So überflüssig wie er war ...": Roth, Joseph: Die Flucht ohne Ende. Unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/4268/1 (19.06.2014)

„Vier lange Jahre ...", „Vergeßt Ihr das ...": Tucholsky, Kurt: Silvester. Unter: http://www.textlog.de/tucholsky-silvester.html (19.06.2014)

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Stefan Zweig

    Stefan Zweig war – wie viele seiner Zeitgenossen – zu Beginn der Krieges euphorisiert, eine Haltung, die sich jedoch ab 1915 deutlich änderte. Nach seiner Tätigkeit im Kriegsarchiv nützte er 1917 eine Vortragsreise in die kriegsneutrale Schweiz, um zu exilieren.

  • Objekt

    Heimkehr

    Im November 1920 erscheint im „Neuigkeits-Welt-Blatt“ ein Bericht über die glückliche Heimkehr aller sieben Brüder der Familie Baumgartner. Sechs Brüder waren bereits unmittelbar nach Kriegsende unbeschadet von der Front zurückgekehrt, während Otto Baumgartner nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft im Jahre 1920 in Wien eintrifft. Ob verwundet oder unversehrt, aus feindlichem Gewahrsam oder nicht, waren Heimkehrer vor die Schwierigkeiten der Wiedereingliederung in die zivile Nachkriegswelt gestellt.

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.

  • Objekt

    Flucht und Deportation

    Millionen von Menschen flohen während des Krieges vor den Kampfhandlungen und den marodierenden Soldaten. Besonders dramatisch erwies sich die Situation in den ethnisch heterogen zusammengesetzten Gebieten der Ostfront. Neben den Invasoren gingen hier auch die Soldaten des Ansässigkeitsstaates gegen die Bevölkerungsminderheiten vor. Darüber hinaus wurden hunderttausende Zivilisten aus den Front- und Etappenbereichen ins Hinterland zwangsdeportiert: Zum einen, weil da man sie als unzuverlässige „innere Feinde“ betrachtete, zu anderen um sie als Zwangsarbeiter auszubeuten.

  • Objekt

    Auf der (Fahnen)Flucht

    Desertion war ein Phänomen, das die Armeen im Ersten Weltkrieg alle vier Jahre lang begleitete – so auch die multinationale Habsburgerarmee. Diese amtliche Kundmachung aus dem Jahr 1915 thematisiert in drei Sprachen (Ungarisch, Deutsch und Serbisch) Fälle von Desertion durch Kriegsgefangene und deren „absichtliche“ Unterstützung durch die heimische Zivilbevölkerung. Diese wird – als „Verbrechen gegen Heereslieferungen“ – unter „unerbittlich[e]“ Bestrafung gestellt