„Ein Raum, dessen Zugang nur den dort Unbeschäftigten gestattet ist“
Das k. u. k. Kriegspressequartier (KPQ) wurde am Tag des Ultimatums Österreich-Ungarns an Serbien, dem 28. Juli 1914, gegründet. Es sollte die militärische Propaganda koordinieren und mit gezielten Beiträgen alle damals verfügbaren Medien steuern.
Das KPQ wuchs im Laufe der Kriegszeit zu einem mächtigen Apparat heran, der mehrere Hundertschaften von Künstlern und Journalisten beschäftigte. Es bestand aus einer Kunst-, Film-, Theater- und Musikabteilung, ein redaktionelles Team verfasste Propagandatexte für in- und ausländische Medien. Ebenfalls dort tätig war die einzige weibliche Kriegsberichterstatterin der Monarchie, die Reiseschriftstellerin Alice Schalek, die durch die Angriffe von Karl Kraus zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte. Schon 1915 widmete er ihr ein längeres Kapitel in der Fackel („Die wackre Schalek forcht sich nicht“), in Die letzten Tagen der Menschheit ließ er sie in vielen Szenen auftreten und stilisierte sie zur negativen Ikone der seiner Ansicht nach infamen Kriegsberichterstattung.
Beliebt war das KPQ bei Schriftstellern. Einige von ihnen versuchten dadurch dem Militärdienst zu entgehen, andere wurden zwangsbeschäftigt. Anfangs versuchte die Heeresleitung, Autoren von Rang zu beschäftigen. Junge, noch unbekannte Schriftsteller, wie Leo Perutz oder Egon Erwin Kisch, schafften es bisweilen erst nach Verwundungen ins KPQ. Anderen gelang es mit Protektion, eine der begehrten Stellen zu erhalten. Schriftsteller, die sich im Offiziersrang befanden (beispielsweise Robert Musil, Franz Karl Ginzkey, Karl Zoglauer), hatten eine Führungsposition inne, die es ihnen erlaubte, den einen oder anderen Berufskollegen im KPQ unterzubringen.
Zu den fixen Kriegsberichterstattern des KPQ zählten die bei der Neuen Freien Presse tätigen Alexander Roda Roda, Ludwig Hirschfeld und Ernst Klein. Andere Autoren wurden nur für einzelne Frontfahrten beschäftigt – darunter Hugo von Hofmannsthal, Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma – und hatten danach die Möglichkeit, die angeordneten Berichte auch für Eigenwerbung zu verwenden.
Die im KPQ tätigen Autoren und Journalisten genossen nicht immer das höchste Prestige, ihnen haftete der Ruf an, Drückebergern zu sein. Verstärkt wurde dies schon allein durch die Adresse des KPQ, das nämlich ausgerechnet an einem beliebten Ausflugsziel der gehobenen Wiener Gesellschaft, im Gasthaus Stelzer in Rodaun (im heutigen 23. Wiener Gemeindebezirk Liesing, damals ein Sommerfrischekurort mit einem Thermalbad) untergebracht war. Karl Kraus kommentierte diese Lokalität süffisant in der Fackel: „Man hatte die Presse nach Rodaun verlegt, um dem Herrn v. Hofmannsthal mit der Front entgegenzukommen.“ In einer früheren Nummer der Fackel vermerkte er: „Man weiß, daß die freiwillig untauglichen Angehörigen des journalistischen Gewerbes, zu denen sich auch ein paar mittelmäßige, aber sonst gesunde Malermeister gesellt haben, bei Kriegsbeginn eingefangen und in einen abgesonderten Raum gesperrt wurden, der Kriegspressequartier heißt, ein Raum, dessen Zugang nur den dort Unbeschäftigten gestattet ist.“
Die Armeeführung sandte prominente Schriftsteller auch auf Vortragsreisen ins Ausland. Franz Werfel, der erst 1917 dem KPQ zugeteilt wurde, fuhr nach Italien und 1918 in die Schweiz, wo er nach unpatriotischen Aussagen – er setzte sich für eine Beendigung des Krieges ein – vorzeitig abberufen wurde. Die Schriftstellerin Berta Zuckerkandl hatte Werfel gehört und notierte: „Man ergeht sich in Vermutungen, ob er bei seiner Rückkehr nach Wien gehängt oder geköpft worden ist.“ Tatsächlich wurden über Werfel aber keine Sanktionen verhängt, vermutlich um einen Skandal zu vermeiden.
Mit Ende des Kriegs schloss das k. u. k. Kriegspressequartier. Was bis heute geblieben ist: Die aus dem KPQ hervorgegangene Austria Presse Agentur (APA).
Gruber, Hannes: „Die Wortemacher des Krieges“. Zur Rolle österreichischer Schriftsteller im Kriegspressequartier des Armeeoberkommandos 1914–1918, Graz Diplomarbeit 2012
Lustig Prean von Preansfeld, Karl: Aus den Geheimnissen des Kriegspressequartiers, in: Džambo, Jozo (Hrsg.): Musen an die Front. Schriftsteller und Künstler im Dienst der k. u. k. Kriegspropaganda 1914 – 1918. Begleitpublikation in 2 Bänden zur gleichnamigen Ausstellung, München 2003
Stiaßny-Baumgartner, Ilse: Roda Rodas Tätigkeit im Kriegspressequartier. Zur propagandistischen Arbeit österreichischer Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, Wien Dissertation 1982
Kalka, Joachim: Alice Schalek: Mutter aller Schlachtreporter. Gott, so ein Krieg! In: FAZ vom 28.3.2003. Unter:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/alice-schalek-mutter-aller-schlach... (17.05.2014)
Zitate:
„Man hatte die Presse nach Rodaun…“: Kraus, Karl: Die nicht untergehen, in: Die Fackel von 4.1919 (F 508-513), 64f.
„Man weiß, daß die freiwillig…“: Kraus, Karl: Geteilte Ansichten über die Kriegsberichterstattung, in: Die Fackel vom 10.12.1915 (F 413-417), 33
„Man ergeht sich in Vermutungen…“: Zuckerkandl, Berta: Der Fall Franz Werfel, in: Mahler-Werfel, Alma: Mein Leben, Frankfurt 1960, 123
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Kapitel
- „Gesindel der Worte“ – Schriftsteller im Krieg
- „Ein Raum, dessen Zugang nur den dort Unbeschäftigten gestattet ist“
- Der Krieg nach dem Krieg – Aufarbeitung, Heimkehr und Rückschau
- „Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen“: „Grodek“ als Vermächtnis des Lyrikers Georg Trakl
- „Die Schuld ist immer zweifellos!“ Franz Kafkas „In der Strafkolonie"
- Ich habe es nicht gewollt: „Die letzten Tage der Menschheit“
- Antikriegsliteratur als Massenerfolg: „Im Westen nichts Neues“
- „Was übrig blieb, war ein verstümmelter Rumpf, aus allen Adern blutend.“ Stefan Zweig und seine „Welt von Gestern"