„Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen“: „Grodek“ als Vermächtnis des Lyrikers Georg Trakl

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder

Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen

Und blauen Seen, darüber die Sonne

Düster hinrollt; umfängt die Nacht

Sterbende Krieger, die wilde Klage

Ihrer zerbrochenen Münder.

Doch stille sammelt im Weidengrund

Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,

Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;

Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen

Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,

Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;

Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.

O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,

Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,

Die ungebornen Enkel.

Grodek bezieht sich auf einen in der heutigen Ukraine gelegenen Ort, wo eine Schlacht mit den russischen Truppen mit einer verheerenden Niederlage der österreichisch-ungarischen Armee endete. Trakl diente aufgrund seiner pharmazeutischen Kenntnisse – er hatte in einer Salzburger Apotheke ein dreijähriges Praktikum absolviert – freiwillig als Sanitätsleutnant. Nach der Niederlage bei Gródek hatte er in einer Scheune ohne Narkosemittel und Medikamente etwa 90 Schwerstverletzte zu versorgen. An dieser Aufgabe zerbrach er psychisch und wurde nach einem Selbstmordversuch in eine Nervenklinik eingeliefert. Während des Lazarettaufenthalts schrieb er mehrere Gedichte, darunter auch Grodek. Wenige Tage danach starb er im November 1914 an einer Überdosis Kokain.

Grodek ist für Trakls Lyrik exemplarisch; in seinem Werk finden sich immer wiederkehrende Motive wie die Nacht, der Herbst und der Tod. In seinen klanglichen und farblichen Kontrastierungen stellte Trakl die heile Natur der Zerstörung durch den Krieg gegenüber und endet in der damit verbundenen Aussichtslosigkeit. Zu diesem Gedicht existieren unzählige Interpretationen, doch letztlich bleibt es dem/der LeserIn überlassen, sich mit diesen Natur- und Kriegsbildern auseinanderzusetzen und daraus die Sinnlosigkeit des Massensterbens an den Fronten des Ersten Weltkrieges abzuleiten.

Auch die Werke anderer Expressionisten brachten das apokalyptische Zeitgefühl zum Ausdruck. Beispielhaft sei hier August Stramm genannt, der in seinem Gedicht Sturmangriff (1914) durch die Verstümmelung und Deformation von Wörtern in einer Kunstsprache die Brutalität des Krieges beschreibt.

Während Georg Heym in Der Krieg bereits 1911 das Grauen visionär vorwegnahm, zogen viele Expressionisten begeistert in den Krieg und feierten diesen lyrisch, wie beispielsweise Ernst Stadler im Gedicht Der Aufbruch (1914). Ungeachtet dessen, ob nun Begeisterung oder Erschütterung in den Texten zum Ausdruck kommt – viele Autoren ereilte das gleiche Schicksal: Stadler, Stramm und Trakl bezahlten ihre Euphorie bereits in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn mit dem Leben.

Bibliografie 

Interpretation Grodek. Unter: http://lyrik.antikoerperchen.de/georg-trakl-grodek,textbearbeitung,71.html (19.06.2014)

Interpretation Sturmangriff. Unter: http://lyrik.antikoerperchen.de/august-stramm-sturmangriff,textbearbeitu... (19.06.2014)

Interpretation Der Aufbruch. Unter: http://lyrik.antikoerperchen.de/ernst-stadler-der-aufbruch,textbearbeitu... (19.06.2014)

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Gewalt im Krieg

    Gewalt war im Ersten Weltkrieg ein gesellschaftlich umfassendes Phänomen. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Männer, Kinder und Greise waren auf die eine oder andere Weise mit ihr konfrontiert. Wie man Gewalt erlebte war unterschiedlich: Sie wurde ausgeübt und erlitten, sie war von physischer und psychischer Prägung, sie fand auf struktureller wie individueller Ebene statt, man erfuhr sie direkt oder indirekt.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?