Artillerie I.: Technische Innovationen und späte Modernisierung

Um 1900 wurde überdeutlich, dass die Geschütze der k. u. k. Artillerie im Vergleich zu jenen anderer Großmächte weitgehend veraltet waren. Ein umfassender Modernisierungsprozess sollte dieses Defizit ausgleichen. Doch die projektierten neuen Geschütztypen konnten bis Kriegsbeginn 1914 größtenteils nicht mehr zur Serienreife gebracht werden.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es auch bei Artilleriewaffen zu wesentlichen Neuerungen. So konstruierte der Brite William G. Armstrong (1810-1900) im Jahr 1855 erstmals eine Feldkanone mit gezogenem Lauf, wodurch Reichweite und Zielgenauigkeit der Geschosse wesentlich verbessert werden konnten. Dieser Kanonentyp war hoch innovativ und wurde bald in vielen Armeen eingeführt.

Die nächste bedeutende Neuerung fand gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich statt. Dort entwickelte man ein Geschütz mit kontrollierter Rohrrücklaufbremse, die einen Gutteil der beim Abfeuern entstehenden Rückstoßenergie absorbierte. Dadurch wurde das Geschütz stabilisiert und musste nicht mehr nach jedem Schuss neu ausgerichtet werden. Auf diese Weise erreichte man eine höhere Schusskadenz und Zielgenauigkeit bei einem gleichzeitig geringeren Arbeitsaufwand. Aufgrund dieser entscheidenden Vorteile galt die französische Canon de 75 modèle 1897 als revolutionäre Neuerung im Bereich der Artilleriegeschütze. Sie wurde von vielen Staaten importiert bzw. in Lizenz produziert und war in der französischen Armee bis in den Zweiten Weltkrieg in Verwendung.

Die k. u. k. Artillerie befand sich 1914 in einer Phase des Übergangs. Bereits um 1900 hatte sich gezeigt, dass der ‚Maschinenpark’ modernisiert werden musste. Die technisch veralteten Geschütze waren in Reichweite, Feuergeschwindigkeit und Wirkung hinter den Standard anderer Großmächte weit zurückgefallen. Bei Kriegsbeginn war die Umrüstung auf moderne Geschütze jedoch bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Somit standen den Artillerieeinheiten der k. u. k. Armee während der ersten Kriegsmonate neben einer geringen Anzahl an modernen Geräten überwiegend ältere Geschütze sowie einige in Entwicklung befindliche Prototypen zu Verfügung. Die industrielle Großproduktion der dringend benötigten neuen Geschütze wollte nicht so recht vorankommen. Problematisch war auch, dass die habsburgischen Industrien nicht ausreichend auf den plötzlichen Bedarf vorbereitet waren. Die Geschützproduktion konnte erst 1915 einigermaßen anlaufen und es dauerte noch bis 1916, bis die benötigten Stückzahlen hergestellt wurden. Diese Verzögerung hatte auch einen Vorteil: Die bisherigen Erfahrungen im Feldeinsatz flossen in die Neukonstruktionen ein. Dies führte dazu, dass einige der im Krieg entwickelten Geschütze – wie die 7,5-cm-Gebirgskanone M.15, die 10,4-cm-Kanone M.15 oder die Feldhaubitze M.14 – zu den besten Geschützen ihrer Zeit gehörten. Auf der anderen Seite gab es durch lange Erprobungsphasen, wie bei den Feldkanonen M.17 und M.18, auch beträchtliche Verzögerungen. Letztlich sollte es den habsburgischen Industrien bis 1918 gelingen, nicht nur das veraltete Artilleriematerial gegen moderne Typen zu ersetzen, sondern auch die Anzahl der Geschütze insgesamt markant zu erhöhen.

Bibliografie 

Ortner, M. Christian: Die k. u. k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien 2013

Ortner, M. Christian: Die österreichisch-ungarische Artillerie von 1867 bis 1918. Technik, Organisation und Kampfverfahren, Wien 2007

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Der industrialisierte Krieg

    Der Erste Weltkrieg war ein Krieg des enormen Materialeinsatzes. Die Armeen mit ihren Massenheeren mussten ausgerüstet und versorgt werden. Die Materialschlachten wären ohne die großindustrielle Herstellung von Waffen und anderen kriegsnotwendigen Produkten unmöglich gewesen. Nur durch die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte die riesige Kriegsmaschinerie aufrechterhalten werden.

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