Weltkriegsfotografie zwischen traditioneller Bildkonvention und Moderne
Im Ersten Weltkrieg bildete sich die visuelle Repräsentation als eine eigene Dimension des Krieges aus. Fotografie und Film entwickelten sich zu den führenden Medien der Kriegsdarstellung und prägten die gesellschaftliche Wahrnehmung des Krieges.
Erst im Verlauf des Ersten Weltkriegs wurde die Fotografie zum Leitmedium der Kriegsberichterstattung. Bis dahin visualisierten Kriegszeichner und Schlachtenmaler das Kriegsgeschehen. Mit der Fotografie als Massenmedium entstand ein visueller Kanon, der den Anschein von Authentizität und Objektivität erweckte. Kriegsfotografien erschienen in Zeitungen und Illustrierten, wurden auf Postkarten abgedruckt und in Ausstellungen und Schautafeln der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Fotografie des industrialisierten Krieges blieb in ihren Darstellungsmustern jedoch weitgehend konventionell und an die ikonografischen Traditionen des 19. Jahrhunderts gebunden. Bezeichnend dafür war unter anderem das Bedürfnis, den Krieg von seiner heroischen Seite zu zeigen. Dies gilt insbesondere für die offizielle Bildberichterstattung und Aufnahmen, die bald nach Kriegsbeginn gemacht wurden. In Fotoateliers ließen sich Rekruten in heroischen Posen ablichten, die Konterfeis zeigten sich zum Verwechseln ähnelnde Portraits der zukünftigen Helden: Uniformierte stehen zum Aufbruch bereit vor ihren Elternhäusern, posieren allein auf weiten Ebenen oder vor Vergnügungsstätten, in denen Abschied genommen wurde. Andere Abbildungen zeigen die Soldaten als Reisende und Wanderer, knüpfen an touristische Traditionen an oder stehen in der Tradition militärischer Genremalerei und der Familienfotografie.
Ebenso konventionell sind jene Bilder, welche die Hochstimmung der ersten Kriegstage und -wochen festhalten. Ihre Bildinhalte wiederholen sich, zeigen Straßenzüge ausziehender Truppen, flankiert von jubelnden Menschen, und sprechen vom Heldentum siegreicher Zeiten. Insbesondere die offiziellen Kriegsfotografen setzten dabei die Tradition der Kriegsmalerei fort – sie produzierten dramatische Aufnahmen, die Volk, Dynastie und Krieg als eine Einheit darstellten. Von diesem Bilderkanon abweichende Abbildungen machten private Fotografen, die jenseits der etablierten Tabus fotografierten und andere Darstellungsmuster wählten.
Andererseits ließ sich der Krieg nicht wie vorangegangene abbilden – er war räumlich entgrenzt und hielt sich nicht an die Demarkationslinien des Schlachtfelds. Dafür mussten neue Dokumentationsformen gefunden werden und hier boten die neu entwickelten Fototechniken bisher ungekannte Möglichkeiten. Die Einführung kleiner Rollfilmkameras und kürzere Verschlusszeiten ermöglichten Momentaufnahmen. Auf Fotopapier gebannte Pulverwolken und Explosionen, rasche Bewegungsabläufe und packende Kampfszenen zeigten dramatische Augenblicke individueller Schicksale. Zugleich waren es aber eben jene fotografischen Perspektiven, die an die verdichteten Motive der modernen Schlachtenmalerei erinnerten. Insofern setzte die Weltkriegsfotografie, in ihren Möglichkeiten durch technische Entwicklungen erweitert, erst recht ikonografische Traditionen fort.
Holzer, Anton: „Üb Aug‘ und Hand fürs Vaterland!“ Österreichische Kriegsfotografie im Ersten Weltkrieg, in: Vocelka, Karl u.a. (Hrsg.): Geschichte in Bildern? Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit (2006), 2, 87-98
Hüppauf, Bernd: Fotografie im Ersten Weltkrieg, in: Spilker, Rolf/Ulrich, Bernd (Hrsg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914–1918. Eine Ausstellung des Museums Industriekultur Osnabrücl im Rahmen des Jubiläums „350 Jahre Westfälischer Friede“ 17.Mai–23.August 1998, Osnabrück 1998, 108-123
Hüppauf, Bernd: Kriegsfotografie, in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München/Zürich 1994, 875-910
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Kapitel
- Public Relations im Ersten Weltkrieg: Die staatliche Organisation der Kriegsberichterstattung
- Die Lichtbild- und Photostelle des KPQs
- „Embedded Photography“: Kriegsfotografen als Teil der militärischen Logistik
- Fotografie als Waffe: Aufklärung, Vermessung, Dokumentation
- Wer fotografiert den Krieg? Knipser, Amateure, Fronttouristen
- Der Bilderkanon des Ersten Weltkrieges im Spiegel der illustrierten Presse
- Der Fotograf als Dokumentarist: Der Blick der Amateure
- Weltkriegsfotografie zwischen traditioneller Bildkonvention und Moderne