Der Bilderkanon des Ersten Weltkrieges im Spiegel der illustrierten Presse

Die illustrierte Presse hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Bildlichkeit des Krieges. Sie stellte einen gesellschaftlichen Kontext zur Verfügung, in dem das fotografische Bild zu einem Medium der gesellschaftlichen Kommunikation wurde. Doch auch in der Presse unterlagen visuelle Darstellungsmuster des Krieges der militärischen Kontrolle und Zensur.


 

Der Bilderkanon des Ersten Weltkriegs ist geprägt von Frontaufnahmen. Während noch die ersten Kriegsbilder fernab den Schlachtfeldern aufgenommene Soldatenportraits zeigten, wurden bald Forderungen nach spektakulären Frontaufnahmen laut. Insbesondere wenn militärische Erfolge verzeichnet wurden, stieg die Nachfrage nach effektvollem, szenischem Bildmaterial. Zeitungen erhofften sich spektakuläre Kriegsbilder und die illustrierte Presse lieferte sich einen Kampf um die besten Bilder. Der besondere Wert der Fotografie für Zeitungen und Zeitschriften lag in der ihr zugeschriebenen Authentizität. BetrachterInnen wurden zu Augenzeugen scheinbarer Realitäten, ohne tatsächlich vor Ort zu sein.

Unter den Zurufen der Medien entwickelten sich Abbildungen von Kriegsschauplätzen und Frontlinien, Kampfhandlungen und Zerstörungen zu den dominierenden Bildlichkeiten des Krieges. Eine dynamische Bildberichterstattung, geprägt von spektakulären Kampfszenen, dynamischen Nahaufnahmen und ereignisreichen Bildnarrativen setzte sich durch. Aufnahmen dieser Art waren äußerst selten, wurden aber so häufig reproduziert, dass sie prägend für die Bildgeschichtsschreibung des Ersten Weltkriegs wurden. Repräsentativ dafür waren sie nicht.

Dabei trat in den Hintergrund, dass sich der Erste Weltkrieg keineswegs auf abgegrenzten Schlachtfeldern abspielte. Nur am Rande fing die Kamera das Schicksal der Zivilbevölkerung ein. Erst in der zweiten Kriegshälfte rückte das Hinterland in den Blickpunkt der illustrierten Zeitungen. Die Frontlinien des Stellungskrieges waren erstarrt und Berichte von der Front verloren an Spannung. Dennoch richtete sich der Fokus nach wie vor auf den Soldatenalltag – gezeigt wurden die Versorgung und Ausspeisung in den Feldlagern, zahnärztliche Behandlungen, Feldbäckereien, gemeinschaftliche Waschtage und Ähnliches. Im Zentrum dieser Bilder stand die Kameradschaft der Soldaten; der Krieg wurde als touristisches Abenteuer präsentiert. Ziel der publizierten Bilder war, eine optimistische, patriotische Stimmung zu unterstützen. Aufnahmen moderner Waffentechnik, riesige Stapel an Ausrüstung und moderne Kriegsgeräte belegten die Zerstörungskraft und schürten die Begeisterung für die industrialisierte Kriegstechnik. Diese Bilder sollten Siegessicherheit vermitteln und den Krieg ästhetisieren.

Schockierende Bilder hingegen wurden in der Regel vermieden. Das charakteristische Tabuthema publizierter Bilder war der Kriegstod. Nur indirekt, etwa durch die Veröffentlichung von Portraits gefallener Soldaten oder in Gestalt toter gegnerischer Soldaten, wurde der Tod thematisiert. Der tote Körper des Feindes demonstrierte die eigene militärische Dominanz und wurde zur Trophäe der Kriegsanstrengungen. Tote in den eigenen Reihen wurden in der offiziellen Bildsprache des Weltkrieges nur in abstrakter Weise und im Ritual des Gedenkens gezeigt. So entstand in den Medien ein Bilderkanon, der den realen Erfahrungen der Soldaten nur am Rande entsprach und von der Tabuisierung der Kriegsrealitäten geprägt war.

Bibliografie 

Holzer, Anton: Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Darmstadt 2007

Holzer, Anton (Hrsg.): Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003

Holzer, Anton: Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918, Darmstadt 2008

Holzer, Anton: Der illustrierte Krieg. Fotografie und Bildberichterstattung 1914-1918, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg. Wien 2013, 486-493

Hüppauf, Bernd: Fotografie im Ersten Weltkrieg, in: Spilker, Rolf/Ulrich, Bernd (Hrsg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914–1918. Eine Ausstellung des Museums Industriekultur Osnabrücl im Rahmen des Jubiläums „350 Jahre Westfälischer Friede“ 17.Mai–23.August 1998, Osnabrück 1998, 108-123

Paul, Gerhard: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, München 2004

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.