Schmelztiegel Großstadt III: Budapest und Pressburg

Budapest war die zweite Hauptstadt der Doppelmonarchie und erlebte einen fulminanten Aufstieg zu einer europäischen Metropole. Während Budapest einen dezidiert magyarischen Charakter annahm, blieb Pressburg ein klassisches Beispiel für die Multiethnizität vieler zentraleuropäischer Städte.

Nach dem Österreichisch-Ungarischen Ausgleich von 1867 erhielt Budapest, das erst 1873 durch den Zusammenschluss der ehemals eigenständigen Städte Buda (dt.: Ofen), Pest und Óbuda (dt.: Alt-Ofen) entstanden war, eine neue Bedeutung als ungarische Metropole.

Budapest erlebte einen rasanten Aufstieg von einer Provinzstadt zu einem dynamischen kulturellen Zentrum. Während die Stadt 1890 erst knapp 500.000 Einwohner zählte, lebte hier um 1910 bereits knapp eine Million Menschen, womit Budapest zu den am raschesten wachsenden Städten Europas gehörte. Dies wurde dank der starken Zuwanderung aus verschiedenen Teilen des ethnisch heterogenen Landes möglich. Die junge Hauptstadt war ein Melting Pot für die nicht-magyarischen Bürger des Landes. Zuwanderer deutscher, slowakischer und südslawischer Herkunft verschmolzen zu national gesinnten Ungarn: War die ungarische Hauptstadt um 1850 noch eine ethnisch gemischte Stadt gewesen – neben dem dominierenden deutschsprachigen Bürgertum lebten hier Magyaren, Slowaken, Serben, etc. – , wandelte sie sich aufgrund der rigiden Magyarisierungspolitik bis 1900 in eine Metropole mit eindeutig ungarisch-magyarischem Charakter. Ihren Ausdruck fand das neu gefundene Selbstbewusstsein der ungarischen Nation in den Milleniumsfeierlichkeiten 1896, die an die magyarische Landnahme vor tausend Jahren erinnern sollten. Die damals errichteten und der ungarischen Nationalgeschichte gewidmeten monumentalen Bauwerke und Denkmäler prägen das Stadtbild Budapests bis heute.

Die forcierte Magyarisierungspolitik der ungarischen Regierung hatte auch Auswirkungen auf andere Städte des Königreiches, die wie das Land selbst oft ethnisch stark gemischt waren. Als Beispiel sei hier Pressburg genannt, wo allein schon die Vielfalt der Namen für diese Stadt die sprachliche Heterogenität der Bewohner verrät: Das alte Pressburg, das, als weite Teiles Ungarns unter osmanischer Herrschaft standen, sogar zeitweilig Hauptstadt des habsburgischen Teiles des Königreiches war, wurde von den Ungarn Pozsony und von den Slowaken Prešporek genannt (der heutige Name Bratislava kam erst 1919 auf).

Pressburg ist ein klassisches Beispiel für die hohe kulturelle Interferenz, die viele urbane Zentren Zentraleuropas charakterisierte: Zahlreiche Menschen ließen sich nicht eindeutig einer Sprachgruppe zuordnen, denn das Phänomen der Zwei- oder Mehrsprachigkeit war weit verbreitet. Daher waren auch die statistischen Zahlen oft nur Ausdruck des aktuellen politischen Klimas in der Nationalitätenfrage, denn die Menschen wechselten je nach den politischen Umständen durchaus ihre amtliche Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Sprachgruppe.

Pressburg zählte 1901 ca. 66.000 Einwohner, von denen  50,4 % Deutsch, 30,5 % Ungarisch und 16,3 % Slowakisch als Muttersprache angaben. 1910, also nur wenige Jahre später, hatte sich die sprachliche Verteilung durch die rigide Magyarisierungspolitik deutlich zugunsten der Magyaren geändert: Die Deutschen hatten zwar immer noch mit 41,9% einen nur mehr knappen Vorsprung vor den Magyaren mit 40,5 %. Der slowakische Anteil war auf 14,9 % gesunken. Wie stark ein politischer Wechsel diese Zahlen verändern kann, zeigt ein Vergleich mit dem Jahr 1930, als das nunmehrige Bratislava Teil der Tschechoslowakei geworden war: Von den mittlerweile 120.000 Einwohnern bekannten sich nun 51,3 % zur slowakischen, 28,1 % zur deutschen und nur mehr 16,2 % zur ungarischen Volksgruppe.

Bibliografie 

Csáky, Moritz: Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen – Wien und die urbanen Milieus in Zentraleuropa, Wien/Köln/Weimar 2010

Hanák, Péter: Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Essen 1988

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984

Lukács, John: Budapest um 1900. Ungarn in Europa, Berlin 1990

Luther, Daniel: Bratislava a mýtos multikultúrnej tolerancie [Bratislava und der Mythos der multikulturellen Toleranz], in: Soukupová, Blanka u. a. (Hrsg): Mýtus – „realita“ – identita. Státní a národní metropole po první světové válce [Urbanní studie 3], Praha 2012, 107–119

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

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Entwicklungen

  • Entwicklung

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    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.