Militarisierung und Staatenbildung. Ein Wechselspiel

Was bedeutet Militarisierung, was Militarismus? Lassen sich zwischen den beiden Begriffen eindeutige Grenzen ziehen? Und wann ist der gesellschaftliche Militarisierungsprozess zeitlich anzusetzen? Fest steht jedenfalls, dass der Militarisierungsprozess und die Herausbildung moderner Staaten eng miteinander in Verbindung stehen.

Mit dem Begriff der Militarisierung beschreibt man zumeist einen von „oben“ eingeleiteten Prozess. Das Militär wird auf unterschiedlichen Ebenen zum Zweck der Herrschaftssicherung gefördert, wobei es immer weitere Bereiche von Kultur, Politik, Staat und Gesellschaft durchdringen kann. Militarismus hingegen meint die ideologische Hochschätzung militanter und kämpferischer Werte in Gesellschaft und Kultur. Auch wenn beide Begriffe einige Überschneidungen aufweisen, sind sie nicht deckungsgleich. Und doch könne der Militarismus, so Michael Hochedlinger, als „[...] Ergebnis eines (erfolgreichen) Militarisierungsprozesses“ verstanden werden. „Die Verstaatlichung des Militärs führte so zugleich zu einer ‚Militarisierung’ des Staates ... fast immer mit vielschichtigen und langfristigen Auswirkungen auf Gesellschaftscharakter und politische Kultur.“ 

Als besonders schwierig gestaltet sich die Unterscheidung zwischen Militarisierung und Militarismus in Gesellschaften, die sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium des Militarisierungsprozesses befinden. So verschwimmen diese Grenzen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Donaumonarchie – wie auch für andere Staaten – zusehends. In dieser Zeit begann das Militär das gesellschaftliche, kulturelle, administrative und politische Leben auf vielfältige Weise zu durchwachsen.

Aus historischer Perspektive ist festzuhalten, dass die zunehmende Militarisierung Europas ab dem 17. Jahrhundert eng mit der europäischen Mächtekonkurrenz und in der Folge mit dem Prozess der Staatenbildung im Zusammenhang steht. Das Ausmaß bewaffneter Konflikte nahm in Europa – mit Ausnahme der Ära der Kabinettskriege im 18. Jahrhundert – kontinuierlich zu. Diese Entwicklung stellte die gegeneinander Krieg führenden Länder vor die Aufgabe, zum einen genügend Soldaten zu werben bzw. zu rekrutieren, zum anderen diese Auseinandersetzungen auch finanzieren zu können. 

Während die Habsburger im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) auf das private Söldnerheer des militärischen Großunternehmers Wallenstein zurückgriffen, schien ihnen diese Strategie aus machtpolitischen Erwägungen auf Dauer zu riskant. Nach dem Westfälischen Frieden (1648) begann man mit dem sukzessiven Aufbau eines monarchisierten – also in den Staatsapparat integrierten – Stehenden Heeres. Die kontinuierlich zunehmende Truppenstärke (1650: 20.000 / 1683: 80.000 / 1701: 100.000 / 1734: 200.000 / 1790: 500.000 / mit der Allgemeinen Mobilmachung 1914 standen 1,8 bis 2 Millionen Mann unter Waffen) führte zu einer Kostenexplosion, derer man sich jedoch in Anbetracht des internationalen Mächtewettbewerbs nicht entziehen konnte. So flossen im 18. Jahrhundert durchschnittlich 50 Prozent der Staatseinnahmen in den Militärapparat. Um sich von den politischen, fiskalischen und administrativen Abhängigkeiten der Stände und Länder zu befreien, strebten die Herrscher nach der Zentralisierung dieser Kompetenzen. Dies sollte nach der Niederwerfung des böhmischen Aufstandes und der österreichischen Ständerebellion (1620) auch sukzessive gelingen und führte zum bedeutenden Machtzuwachs des sich etablierenden Zentralstaates.

Bibliografie 

Hochedlinger, Michael: Militarisierung und Staatenverdichtung. Das Beispiel der Habsburgermonarchie in der frühen Neuzeit, in: Kolnberger, Thomas/Steffelbauer, Ilja/Weigl, Gerald (Hrsg.): Krieg und Akkultuaration, Wien 2004, 107-129

Hochedlinger, Michael: Rekruten – Militarisierung – Modernisierung. Militär und ländliche Gesellschaft in der Habsburgermonarchie im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus, in: Krol, Stefan/Krüger, Kesten (Hrsg.): Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Hamburg 2000, 327-376

Ortner, Christian: Die k. u. k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien 2013

 

Zitate:

„[...] Ergebnis eines (erfolgreichen) Militarisierungsprozesses...“: Hochedlinger, Michael: Rekruten – Militarisierung – Modernisierung. Militär und ländliche Gesellschaft in der Habsburgermonarchie im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus, in: Krol, Stefan/Krüger, Kesten (Hrsg.): Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Hamburg 2000, 334

"Die Verstaatlichung des Militärs...": ebd., 334

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Entwicklung

    Der starke Staat und der Untertan: Obrigkeitsdenken und Klassengesellschaft

    Die Klassengesellschaft der Habsburgermonarchie war von strengen Hierarchien geprägt. Es herrschten enorme Unterschiede zwischen Arm und Reich. Angehörige verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen sowie Frauen generell standen in existenziellen sozialen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.