Soldatenabrichtung. Gewalt als militärisches Instrument zur Gehorsamsproduktion

Zur Abrichtung der Rekruten setzte das Militär auf die systematische Anwendung von körperlicher und psychischer Gewalt. Demütigungen, Drohungen und die Anwendung drastischer Körperstrafen prägten den soldatischen Alltag. Zwar führte die öffentliche Kritik zu umfangreichen Reformen, doch sollten diese die Realität des Kasernenalltags nur bedingt verbessern.

Die wichtigste Institution zur Fabrizierung kampftauglicher Soldaten war seit Mitte des 18. Jahrhunderts die Kaserne. Hier wurden die Rekruten von ihren Vorgesetzten gedrillt und zu militärischer Gehorsamkeit abgerichtet. Disziplin, Ordnung und Zucht galten als die tragenden Ideale der Heeresorganisation. Zur Durchsetzung dieser Ziele bediente man sich drastischer Mittel: Durch die stete Androhung massiver Körperstrafen befanden sich die Soldaten in einem Zustand andauernder Verunsicherung und Bedrohung.

In der Öffentlichkeit wurde diese Form der militärischen Abrichtungspraxis zusehends kritisiert. Zum einen widersprach sie den humanistischen Idealen von Individualisierung und den Forderungen nach körperlicher wie seelischer Integrität, zum anderen galten die weithin obligatorischen Körperstrafen spätestens seit Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht als unzeitgemäß. Die Prügelstrafe schien für die aus allen Schichten rekrutierten Bürgersoldaten zum inadäquaten Sanktionsmittel geworden zu sein. Das Militär sollte nicht mehr nur (Unter)Ordnung und Disziplin lehren, sondern als „Schule der Männlichkeit“ auch Sekundärtugenden wie Ehrgefühl und Selbstständigkeit für das spätere Leben als Mann und Staatsbürger vermitteln. 

Die öffentliche Kritik entzündete sich besonders an den harten, die Grenze zur Misshandlung überschreitenden Körperstrafen. Zwar regelte ein umfangreiches Disziplinarstrafrecht, welche Strafen auf einzelne Vergehen zu folgen hatten, doch konnten diese von den Chargen flexibel ausgelegt und gehandhabt werden. Die Grenzen zwischen militärischem Drill, einer übermäßigen Anwendung der Sanktionen, der Schikane und der Misshandlung waren fließend. Darüber hinaus fand das Disziplinarstrafrecht nicht nur bei konkreten Vergehen Anwendung, sondern diente den Vorgesetzten als universales Disziplinierungsinstrument. Renitente, pflichtvergessene oder sonstwie von der streng geregelten Norm abweichende Soldaten konnten jederzeit zur Subordination gezwungen werden. Nicht selten wurde auch aus Prinzip gestraft, wobei das passende Vergehen im streng regulierten Kasernenalltag schnell bei der Hand war. 

Die öffentliche Kritik führte dazu, dass nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht die Stock- bzw. Prügelstrafen mit dem 1869 reformierten Disziplinarstrafrecht entfielen. Die überaus schmerzhaften Körperstrafen des Anbindens und Schließens in Spangen blieben hingegen bis 1903 bestehen. In dieser Zeit fanden sie als Ersatz zur abgeschafften Prügelstrafen exzessive Anwendung.

Entgegen den offiziellen Milderungen im Disziplinarstrafrecht wurde im militärischen Alltag allerdings weiterhin gedemütigt, schikaniert, bestraft und auch geprügelt. Trotz der offiziellen Reformen blieb der Eintritt in den Wehrdienst für die große Mehrheit der Rekruten ein absoluter Schock. Das Militär setzte in der Alltagspraxis – im diametralen Gegensatz zur geforderten „humanitären Mannschaftsbehandlung“ – weiterhin auf die Mittel der übermäßigen Gewaltanwendung. Systematische Demütigungen, Sanktionsandrohungen und die Anwendung drastischer Strafen zielten auf die Zerstörung der zivilen Identität mit dem Zweck der Internalisierung von absolutem Gehorsam, Affektkontrolle und Angstunterdrückung im Kampf. 

Der 1895 zu den Pionieren eingerückte Soldat Emil Geissler schildert seine militärische Ausbildung folgendermaßen: „[A]m Exerzierplatz [...] dort wurden wird dressiert und sekiert und geschlagen wir bekamen oft Ohrfeigen von dem Abrichter dann hat er uns oft mit dem Gewehr auf die Zehen aufgestampft das man glaubte die Zehen sind alle zerquetscht. [...] Ich machte bei den Pionieren 3 Abrichtungen mit. Exerzieren, Landbefestigung mit Krampen und Schaufel und Wasserdienst: [A]lle 3 Abrichtungen eine Thierquälerei und noch dazu die Grobheiten von den Feldwebel und den Chargen.

Durch diese Form der militärischen Abrichtung gewann die Allgemeine Wehrpflicht an gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Zum einen wurde sie von den meisten männlichen Staatsbürgern der Monarchie durchlaufen, zum anderen verbreiteten sich von hier die von den Männern internalisierten militärischen „Werte“ und „Forderungen“ über ihre Rolle als Ehemänner und Väter in die zivile Welt.

Bibliografie 

Hämmerle, Christa: „…dort wurden wir dressiert und sekkiert und geschlagen…“. Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868 bis 1914), in: Cole, Laurence/Hämmerle, Christa/Scheutz, Martin (Hrsg.): Glanz, Gewalt, Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1880 bis 1918), Essen 2011, 31-54

 

Zitat:

"[A]m Exerzierplatz...": Geisler, Emil, zitiert nach: Hämmerle, Christa: „…dort wurden wir dressiert und sekkiert und geschlagen…“. Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868 bis 1914), in: Cole, Laurence/Hämmerle, Christa/Scheutz, Martin (Hrsg.): Glanz, Gewalt, Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1880 bis 1918), Essen 2011, 51

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?

  • Entwicklung

    Der starke Staat und der Untertan: Obrigkeitsdenken und Klassengesellschaft

    Die Klassengesellschaft der Habsburgermonarchie war von strengen Hierarchien geprägt. Es herrschten enorme Unterschiede zwischen Arm und Reich. Angehörige verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen sowie Frauen generell standen in existenziellen sozialen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen.