Hereinspaziert! – Aufführungspraxen, Attraktionen, Schau- und Hörerlebnisse

Das Kino der Frühzeit stand dem Varieté bedeutend näher als dem Theater. Die Vielfalt der Attraktionen bestimmte auch den Film der Pionierzeit und fand auf Festen und Jahrmärkten, wo sich die kinematographischen Schausteller vornehmlich einfanden, einen stimmigen Präsentationsrahmen.

Die filmischen Vorführungen waren oftmals Teil einer abwechslungsreichen Revue, die etwa „körperliche Abnormitäten“, Wachsfiguren, automatische Apparaturen, Kaiserpanoramen sowie Sketches, artistische Darbietungen oder Tanz- und Gesangseinlagen präsentierte. Auch war das Kino der Stummfilmära tatsächlich nie „stumm“, vielmehr herrschte ein Tumult an Geräuschen, Stimmen und Tönen. Die musikalische Begleitung vermittelte emotionale Stimmungen und gab den Filmen oftmals eine eigene Atmosphäre. Die Simulation verschiedener Töne mithilfe von Geräuschmaschinen oder Instrumenten, Kochtöpfen, Metallblechen, Holzstöcken, Peitschen etc. unterstützte die filmische Erzählung und verlieh ihr ein Stück Realität.

Die Verständlichkeit der Filme war in der Frühzeit des Kinos nicht gesichert und machte den Einsatz zusätzlicher erklärender Mittel notwendig. Filmprogramme, die um 1910 auch in Österreich-Ungarn zum fixen Bestandteil des Kinobesuchs wurden, dienten weniger als Anreiz einen Streifen zu sehen, sondern sollten den Filmplot anschaulich wiedergeben. Eine besondere Rolle kam den Filmerzählern zu, die das Geschehen auf der Leinwand dem filmisch nicht geschulten Publikum erläuterten. Sie gaben Hinweise auf Raum und Zeit, sprachen mitunter eigens erdachte Dialogzeilen und interpretierten das Gesehene mittels moralischer Kommentare oder historischer und wissenschaftlicher Belehrungen. Oftmals avancierten sie zu Vortragskünstlern, die den Inhalt geschickt den lokalen Gegebenheiten, dem Geschmack und den Interessen der jeweiligen Zuschauer anpassten. Mit Einführung der Zwischentitel und dem allmählichen Einsatz interpretierender filmischer Mittel verlor das begleitende gesprochene Wort schließlich im Verlauf der 1910er Jahre seine Bedeutung.

Um das Interesse an den Filmen hoch zu halten, setzten die Hersteller stets auf besondere Effekte (Kolorierung, Nahaufnahme, Montage) und technische Verbesserungen. So versuchte man sich etwa in der tonsynchronen Aufnahme und Wiedergabe kurzer Sprechstücke und Gesangsdarbietungen. Das Ergebnis waren serienreife Apparaturen, mit denen ab 1903 „tönende“ Filmdokumente präsentiert werden konnten. Die Tonbilder vermochten bei einer Länge von etwa drei Minuten Gesangsstücke, aber auch gesprochene Dialoge, durch eine komplexe mechanische Verkopplung von Filmprojektor und Grammophon verblüffend realistisch zu reproduzieren. Dank der Erfindung der „sprechenden, singenden und musizierenden Photographie“ sind der Nachwelt Momentaufnahmen des darstellerischen und musikalischen Talents des populären Volksschauspielers Alexander Girardi (1850–1918) erhalten geblieben. Das Tonbild zu „Rauschlied“ aus Edmund Eyslers Operette „Künstlerblut“ war für Girardis Zeitgenossen eine technische Sensation.

Bibliografie 

Châteauvert, Jean: Das Kino im Stimmbruch, in: KINtop5, „Aufführungsgeschichten“, Jahrbuch zu Erforschung des frühen Films, Basel/Frankfurt am Main 1996, 81-93

Warstat, Dieter Helmuth: Frühes Kino der Kleinstadt, Berlin 1982

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