Eine besondere Rolle bei der Entstehung der Tschechoslowakei spielten die tschechoslowakischen Legionen, die an der Seite der Armeen der Entente-Mächte kämpften. Diese Legionen bestanden aus Freiwilligenverbänden von Auslandstschechen, vor allem jedoch aus Überläufern und Kriegsgefangenen aus den Reihen der k. u. k. Armee.

Diese militärischen Einheiten sollten den bisher theoretischen Konzepten einer unabhängigen Tschechoslowakei ein reales Gewicht verleihen: Das Engagement auf Seiten der Entente-Mächte sollte sich nicht nur auf politische Agitation beschränken, sondern auch den bewaffneten Kampf gegen die Mittelmächte unterstützen.

Die tschechoslowakischen Legionen stellten schließlich eine Streitmacht von ca. 100.000 Mann dar. Am stärksten waren die tschechischen Einheiten mit 77.000 Mann in der russischen Armee. Diese rekrutierten sich aus Überläufern und Kriegsgefangenen, die sich anwerben ließen. Desertion stellte auf dem russischen Kriegsschauplatz für die k. u. k. Armee ein massives Problem dar, was schließlich zur Folge hatte, dass der Kampfwille der tschechischen Soldaten von der österreichischen Generalität pauschal angezweifelt wurde.

Internationales Aufsehen erregte aber vor allem die Rolle, welche die tschechoslowakischen Legionen während der Russischen Revolution spielten. Nach der Machtübernahme der Bolschewiken griffen die Legionäre im russischen Bürgerkrieg auf Seiten der bürgerlichen Weißgardisten ein und kämpften gegen die Rote Armee. Der aussichtslose Kampf endete mit der Besetzung von Wladiwostok in Sibirien, von wo aus die tschechoslowakischen Legionäre bis Ende 1920 in die Tschechoslowakei evakuiert wurden.

Eine andere Rolle spielten die tschechoslowakischen Legionen bei den westlichen Alliierten. Im Dezember 1917 formierte sich ein Truppenkörper von 12.000 Mann, der  als alliierte Armee an der Seite Frankreichs kämpfen sollte. Im April 1918 anerkannte auch Italien die Gründung einer politisch und rechtlich souveränen tschechoslowakischen Armee. Die tschechoslowakischen Legionen, die an der Seite Frankreichs und Italiens kämpften, galten somit – anders als die Legionen in Russland, die als Teil der regulären russischen Armee agierten – als autonome Armee eines souveränen Staates: Die Tschechoslowakei war zwar damals noch ein virtueller Staat und ohne völkerrechtlich definiertes Territorium, verfügte aber bereits über Streitkräfte.

Nach der Erlangung der Unabhängigkeit bildeten die tschechoslowakischen Legionen auch das Fundament für eine tschechoslowakische Armee. Die ersten von der italienischen Front rückkehrenden Verbände waren sogar in die Konflikte um die Behauptung des Staatsterritoriums unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Herbst 1918 involviert. In der neu entstandenen Tschechoslowakei war man sich der Bedeutung der Legionen sehr bewusst. Sie galten als einer der ideologischen Grundpfeiler des staatlichen „Gründungsmythos“. Die Veteranen waren hoch angesehen, in jeder Stadt wurden Straßen, Plätze und Brücken nach ihnen benannt. Die Organisation der ehemaligen Legionäre (Československá obec legionářská) stellte eine bedeutende politische Kraft dar.

Die einseitige Betonung der positiven Rolle der Legionen im offiziellen historischen Bewusstsein des tschechoslowakischen Staates hatte aber auch negative Konsequenzen. Denn die überwältigende Mehrheit der Tschechen und Slowaken (und nicht zu vergessen die Angehörigen der nunmehrigen deutschen und magyarischen Minderheiten) dienten bis zum Zusammenbruch der Monarchie loyal in der k. u. k. Armee. Eine Überbrückung des ideologischen Grabens in der Erinnerungskultur gelang nicht, was den Zusammenhalt nicht unbedingt förderte.

Bibliografie 

Bihl, Wolfdieter: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Chronik – Daten – Fakten, Wien/Köln/Weimar 2010

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis ins 20. Jahrhundert, München 1987

Lein, Richard: Pflichterfüllung oder Hochverrat? Die tschechischen Soldaten Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg [Europa Orientalis 9], Wien [u.a.] 2009

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.