Im Ersten Weltkrieg erreichte die mentale Mobilisierung der Bevölkerung bisher unbekannte Ausmaße. Zu den propagandistischen Maßnahmen zählten unter anderem auch die Produktion und Distribution von Tonaufnahmen, auf denen die ermunternden Worte des Kaisers sowie führender Generäle der k. u. k. Armee zu hören waren.
Mit der Erfindung des Phonographen durch Thomas Alva Edison im Jahr 1877 gelang es erstmals, Klänge auf einer mit Stanniol überzogenen Walze aufzuzeichnen und anschließend über einen Trichter wiederzugeben. Alexander Graham Bell und Charles Sumner Tainter brachten zehn Jahre später das Graphophon auf den Markt, das als eine Weiterentwicklung des Phonographen bereits über eine vierminütige Spieldauer verfügte. Gleichzeitig entwickelte Emile Berliner das Grammophon sowie die Schallplatte, die zunächst aus Hartgummi hergestellt wurde und rund 90 Sekunden Spielzeit ermöglichte. Ab 1897 wurde Schellack als Trägermaterial der Platten verwendet, welche die Phonographenwalzen bald an Bedeutung übertrafen. Die ersten Schellacks verfügten über eine Spieldauer von vier Minuten, die jedoch mit der Einführung der beidseitigen Platten im Jahr 1904 verdoppelt werden konnte.
Auch im Ersten Weltkrieg machte man von diesem relativ neuen Medium Gebrauch und ließ Schallplatten mit Ansprachen der politischen und militärischen Führung produzieren. Die Österreichische Mediathek ist im Besitz einer vom k. k. Österreichischen Militär- Witwen- und Waisenfonds in Auftrag gegebenen Reihe von acht Schellackplatten zu 30 cm und 78 Umdrehungen pro Minute, die von der Firma Lindström erzeugt wurden und deren Verkauf den Kriegshinterbliebenen und Kriegsopfern zugute kommen sollte. Die Aufnahmen enthalten unter anderem kurze Stellungnahmen des Kaisers, des österreichischen Thronfolgers sowie des Generalstabschefs Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf.
Große Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung hatten die Stimme des Kaisers noch nie zuvor gehört. Mit der am 14. Dezember 1915 auf Schallplatte aufgezeichneten Rede, in der Franz Joseph dem k. k. Österreichischen Militär- Witwen- und Waisenfonds seine herzlichsten Wünsche aussprach, wurde der Kaiser auch für all jene, die ihn bisher bloß von Abbildungen kannten, akustisch wahrnehmbar. In seiner Ansprache heißt es: „Ich begleite das Wirken des Österreichischen Militär- Witwen- und Waisenfonds mit meinen herzlichsten Wünschen. Möge seinen edlen Bestrebungen zum Wohle der Hinterbliebenen meiner braven Krieger voller Erfolg beschieden werden.“ Die Österreichische Mediathek besitzt insgesamt drei Tonaufnahmen Kaiser Franz Josephs, wobei die erste bereits 1901 entstand und die zweite zwei Jahre später in Bad Ischl für das Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde. Bei der Aufzeichnung vom Dezember 1915 handelt es sich um das einzige Stimmporträt des Kaisers, das auch der Bevölkerung zugänglich gemacht wurde. Auf dem im Jugendstil entworfenen, repräsentativen Plattencover war folgender Hinweis zu lesen: „Vorliegende Platte ist das einzige Stimmporträt Seiner kaiserlichen und königlichen apost. Majestät, welches der Öffentlichkeit übergeben wurde.“
Rühr, Sandra: Tondokumente von der Walze zum Hörbuch. Geschichte – Medienspezifik – Rezeption, Göttingen 2008
Alle Informationen zu den im Besitz der Mediathek befindlichen Tondokumenten entstammen der Website der Österreichischen Mediathek.
http://www.mediathek.at/virtuelles-museum/kriegstoene/cid/5393 (22.03.2014)
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Kapitel
- Propaganda: Psychologische Kriegsführung im Ersten Weltkrieg
- Der Kampf um Herzen und Köpfe
- Freund und Feind – Schuld und Unschuld in der Weltkriegspropaganda
- „Laßt eure Herzen schlagen zu Gott und Eure Fäuste auf die Feinde“
- Der Erste Weltkrieg im Zerrspiegel der Karikaturen
- Der Krieg an der Wand
- Die Wahrheit aus den Wolken
- Die Stimme des Kaisers
- Von Tönen und Klängen