Die Frau im Schützengraben

Der Einsatz von Soldatinnen im Ersten Weltkrieg

Die imaginierte Dichotomie von ‚männlicher Front’ und ‚weiblichem Hinterland’ verhinderte lange Zeit einen differenzierten Blick auf die verschiedenen Tätigkeitsbereiche von Frauen im Ersten Weltkrieg. Warum sollte man sie im Schützengraben suchen, wenn sich ihr Platz ohnehin im „Heer der Heimat“ befand?

In fast allen kriegführenden Staaten meldete sich eine beachtliche Anzahl an Frauen freiwillig für den Dienst an der Front. Sie arbeiteten nicht nur als Krankenschwestern oder weibliche Hilfskräfte im Bereich der militärischen Administration, sondern beteiligten sich auch aktiv an bewaffneten Auseinandersetzungen.

Die Teilnahme von Frauen am Kampfgeschehen war vom Militär jedoch weder vorgesehen noch erwünscht. Während weibliche Hilfskräfte zumindest gesellschaftliche Akzeptanz erfuhren, stieß der Einsatz weiblicher Kombattanten sowohl innerhalb der Armee als auch in der Gesellschaft auf kräftige Gegenwehr. Einzelne Frauen versuchten dennoch – oft unter Verleugnung ihres Geschlechts – bis an die Front vorzurücken, um Seite an Seite mit den Soldaten zu kämpfen.

Sie beteiligten sich an Kampfhandlungen und bewiesen dabei außergewöhnliche Tapferkeit. Aus diesem Grund beschloss Kaiser Franz Joseph bereits am 3. November 1915, dass zukünftig auch Frauen Tapferkeitsmedaillen erhalten dürften. Beispielsweise wurde Viktoria Savs, bekannt als „das Heldenmädchen von den Drei Zinnen“, die ihrem Vater in den Landsturm-Infanterie-Bataillon Innsbruck Nr. II folgte, aufgrund ihrer außergewöhnlichen Verdienste an der Front die silberne Tapferkeitsmedaille verliehen.

Auch in den polnischen und ukrainischen Truppen kam eine beachtliche Zahl an Frauen zum Einsatz. Ihre Beteiligung in kämpfenden Einheiten war jedoch ebenfalls unerwünscht, weshalb sich ihre Tätigkeiten – ähnlich der weiblichen Hilfskräfte – auf den Sanitäts- Wirtschafts- und Verwaltungsbereich beschränkten. Die Erlaubnis zur Teilnahme am Kampf war weitgehend von den jeweiligen Fürsprechern und Befehlshabern abhängig.

Aus diesem Grund betraten Frauen das militärische Feld oftmals, indem sie sich als männliche Soldaten ausgaben oder verkleideten und dadurch ihre Chancen erhöhten, an den Kampfhandlungen teilzunehmen. Einige polnische und ukrainische Frauen rückten so bis in die Kampfgebiete der Karpaten und Wolyniens vor. Die genaue Anzahl der kampftüchtigen Soldatinnen lässt sich aufgrund des unzureichenden Quellenmaterials jedoch nicht mehr feststellen.

Der folgende Text eines ukrainischen Volksliedes erzählt von der Kriegsheldin Olena Stepanivna, die für ihren Einsatz in der Schlacht bei Makivka in den Karpaten im Frühling 1915 die silberne Tapferkeitsmedaille erhielt:

„Hey die Mädels brachen die Vogelbeerenzweige, die Schützen marschierten den Berg hinunter. Als sie hinunter kamen, traten sie in zwei Reihen und jagten den Russen davon und bekamen Lob. Und Olena Stepanivna kämpfte mit den Schützen; während sie am Makivka kämpften, legte sie Bandagen auf.“

Das Lied thematisiert die Teilnahme von Frauen an bewaffneten Auseinandersetzungen, verweist jedoch zugleich auf ihre Tätigkeit in der Krankenpflege. Damit wird suggeriert, dass sich Frauen nur in Ausnahmefällen an den Kämpfen beteiligten und eher als Hilfskräfte zum Einsatz kamen. Die Front erscheint hier zwar nicht mehr als ausschließlich männliches Betätigungsfeld, dennoch wird die dichotome Konzeption der fürsorglichen Frau und des kampflustigen Mannes beibehalten.

Die Soldatinnen überschritten ebenso wie die weiblichen Hilfskräfte die imaginierte Demarkationslinie zwischen ‚männlicher Front’ und ‚weiblicher Heimat’. Sie brachten die kriegsspezifische Geschlechterordnung aus dem Gleichgewicht, weshalb ihr patriotisches Engagement – anders als das der fürsorglichen und aufopfernden Krankenschwester – nach dem Krieg weitgehend in Vergessenheit geriet.

 

Bibliografie 

Daniel, Ute: Frauen, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn et al. 2009, 116-134

Hacker, Hanna: Ein Soldat ist meistens keine Frau. Geschlechterkonstruktionen im militärischen Feld, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie (1995), 2, 45-63

Heeresgeschichtliches Museum: Die Frau im Krieg. Katalog zur Ausstellung vom 6. Mai bis 26. Oktober 1986, Wien 1986

Leszczawski-Schwerk, Angelique: „Töchter des Volkes“ und „stille Heldinnen“. Polnische und ukrainische Legionärinnen im Ersten Weltkrieg, in: Latzel, Klaus/Maubach, Franka/Satjukow, Silke (Hrsg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute, Paderborn et al. 2001, 179-205

 

Zitate:

„Hey die Mädels brachen …“: Ukrainisches Volkslied, zitiert nach: Leszczawski-Schwerk, Angelique: „Töchter des Volkes“ und „stille Heldinnen“. Polnische und ukrainische Legionärinnen im Ersten Weltkrieg, in: Latzel, Klaus/Maubach, Franka/Satjukow, Silke (Hrsg.): Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute, Paderborn et al. 2001, 179

„Heer der Heimat“: Hacker, Hanna: Ein Soldat ist meistens keine Frau. Geschlechterkonstruktionen im militärischen Feld, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie (1995), 2, 45

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Viktoria Savs

    Viktoria Savs, auch bekannt als das Heldenmädchen von den Drei Zinnen", folgte 1915 unter dem Namen „Viktor Savs“ ihrem Vater in den Krieg. Sie diente im Landsturminfanteriebataillon Innsbruck II und erhielt aufgrund ihrer außergewöhnlichen Verdienste an der Front die Silberne Tapferkeitsmedaille 1. Klasse, die Bronzene Tapferkeitsmedaille sowie das Karl-Truppen-Kreuz. Am 27. Mai 1917 zog sich Viktoria Savs eine schwere Verletzung zu, in deren Folge sie ein Bein verlor und ihren Kriegsdienst beenden musste.

  • Person

    Olena Stepanivna

    Die Kriegsheldin Olena Stepanivna wurde für ihren Einsatz in der Schlacht bei Makivka im Frühjahr 1915 mit der silbernen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?