Die Frage der Amtssprache

Die Bürokratie war eine der wichtigsten Stützen des altösterreichischen Obrigkeitsstaates. In welcher Sprache der Amtsschimmel wieherte, war daher ein heiß umstrittenes Politikum.

In der k. k. Bürokratie unterschied man zwischen der inneren Dienstsprache, worunter man die Sprache für den internen Behördenverkehr verstand, und der äußeren Dienstsprache, in der der Kontakt zwischen der Behörde und den BürgerInnen ablief.

Wiederum waren die böhmischen Länder Hauptschauplatz von Kontroversen, da diese Kerngebiete der Monarchie darstellten, wo in Gestalt von Deutschen und Tschechen zwei Sprachgruppen mit stark ausgeprägten Nationalismen sich zunehmend kompromisslos gegenüber standen. Der Streit über die Frage der Amtssprache zwischen der tschechischen Mehrheitsbevölkerung und der starken deutschen Minderheit wuchs sich zu einer bedrohlichen Staatskrise aus.

Die innere Dienstsprache war in den böhmischen Ländern Deutsch, während das Tschechische zunächst nur regional in den Landesteilen mit einer deutlichen tschechischen Mehrheit als äußere Dienstsprache anerkannt wurde, während der deutschsprachige Behördenverkehr landesweit möglich war.

1880 waren die sprachpolitischen Forderungen der nach einem rasanten kulturellen und ökonomischen Aufholprozess immer selbstbewusster werdenden tschechischen Mehrheitsbevölkerung in Böhmen nicht mehr zu ignorieren. Die Regierung Taaffe setzte nun gegen den Protest der Deutsch-Böhmen durch, dass Tschechisch neben dem Deutschen als landesübliche Sprache in ganz Böhmen und Mähren anerkannt wurde. Somit waren Amtshandlungen in jener Sprache abzuwickeln, in der die Eingabe gehalten war. Auch überwiegend deutsche Bezirke mussten nun einen tschechischsprachigen Behördenverkehr gewährleisten, was eine starke Signalwirkung in den ursprünglich deutschsprachigen Industriegebieten Nordböhmens hatte, wo sich der tschechische Bevölkerungsanteil dank massiver Arbeitsmigration ständig verstärkte. Die innere Dienstsprache blieb jedoch landesweit weiterhin Deutsch.

Noch heftigere Wogen schlug die Kontroverse um die Sprachenverordnung, die Ministerpräsident Graf Badeni 1897 durchzusetzen versuchte: Um die Unterstützung der tschechischen Abgeordneten für sein Regierungsprogramm zu erhalten, war eine vollkommene Gleichstellung der beiden Landessprachen als innere und äußere Amtssprachen geplant. Dies hätte de facto die Zweisprachigkeit aller Beamten bedingt, was eine Bevorzugung der Tschechen mit sich gebracht hätte, denn diese waren in der Regel auch des Deutschen mächtig. Die Deutschböhmen hingegen beherrschten die zweite Landessprache zumeist kaum und zeigten oft wenig Bereitschaft, diese zu erlernen. Daraus sprach ein tief sitzendes Überlegenheitsgefühl der Deutschen gegenüber den Slawen generell sowie eine mangelnde Achtung und großes Unverständnis gegenüber den tschechischen Landsleuten. Badenis Versuch scheiterte schließlich an der massiven Protestwelle, die von deutschnationalen Kreisen in der gesamten Monarchie losgetreten wurde. In Reaktion darauf begann nun die tschechische nationale Agitation offen gegen die Habsburgermonarchie zu opponieren.

Die Frage der Amtssprache besaß aber auch in anderen Reichsteilen ein enormes Konfliktpotenzial. 1882 wurde Galizien Schauplatz einer Kontroverse um die Verwendung des kyrillischen Alphabets im amtlichen Schriftverkehr. Zwar war Ruthenisch als Landessprache anerkannt, aber nur in lateinischer Schrift. Die erstarkende ruthenische Nationalbewegung begann sich nun gegen die Polonisierung, die sie im Zwang der Verwendung des lateinischen Alphabets zu erkennen glaubte, zu wehren. Nachdem amtliche Eingaben in kyrillischer Schrift abgelehnt worden waren, ging man mit der Beschwerde bis zum Reichsgericht (entspricht dem heutigen Verfassungsgerichtshof), das zu dem Erkenntnis gelangte, dass im Sinne des verfassungsmäßig verankerten Grundsatzes der nationalen Gleichberechtigung auch Eingaben in kyrillischer Schrift akzeptiert werden müssten.

Ebenfalls durch Anrufung des Reichsgerichts erreichte 1888 die mehrheitlich kroatischsprachige Bevölkerung der zu Istrien gehörenden Adriainsel Krk (kroat.)/ Veglia (italien.), dass die italienisch dominierten lokalen Behörden in Zukunft auch Amtsverkehr auf Kroatisch anbieten mussten. 

Bibliografie 

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis ins 20. Jahrhundert, München 1987

Křen, Jan: Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche in den böhmischen Ländern 1780–1918 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 71), München 1995

Stourzh, Gerald: Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848 bis 1918, Wien 1985

Wolf, Michaela: Die vielsprachige Seele Kakaniens. Übersetzer und Dolmetscher in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918, Wien u. a. 2012

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