In welcher sprachlichen Variante und Schreibweise Ortsnamen im offiziellen Amtsgebrauch verwendet wurden, war in einem multiethnischen Staatsgebilde wie der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ein heiß diskutiertes Thema, da sich damit „nationale Besitzstände“ markieren ließen. Vor allem in mehrsprachigen Regionen entzündete sich darüber ein erbitterter Kampf.
In der Habsburgermonarchie lebten viele Sprachgruppen eng verwoben miteinander, was zur Folge hatte, dass es oft verschiedene Versionen von Orts- und anderer Landschaftsnamen gab. Diese unterschieden sich manchmal in der Schreibweise nur marginal, konnten aber zuweilen auch komplett anders sein. Darüberhinaus stellte sich im Osten und Südosten des Reiches auch die Frage, ob die die Ortsnamen in lateinischer oder kyrillischer Schrift wiedergegeben werden sollten.
Während man z. B. im Fall von Prag in den Varianten Praha (tschech.), Prága (ungar.) oder Praga (italien., slowen., poln., etc.) relativ leicht die böhmische Hauptstadt erkannte, war dies in anderen Fällen nicht so klar. So hatten sich für Wien in den verschiedenen Sprachen sehr unterschiedliche Benennungen gebildet: Die Tschechen nannten die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt Vídeň, die Slowaken Viedeň, die Polen Wiedeń und die Ruthenen Відень. Einen völlig anderen Namen verwendeten die Ungarn (Bécs), Kroaten (Beč) und Serben (Беч). Die Slowenen entwickelten mit Dunaj wiederum eine eigenständige Bezeichnung für diese Stadt, die in den romanischen Sprachen als Vienna (italien.) bzw. Viena (rumän.) bekannt ist.
Angesichts des verfassungsrechtlich festgelegten Prinzips der Gleichberechtigung der Nationalitäten respektierten die staatlichen Behörden grundsätzlich die Forderungen nach einer nationalen Topographie. Typisch waren daher mehrsprachige Ortsbezeichnungen auf offiziellen Schriftstücken, Stempeln, etc. Andererseits bediente man sich auch eines gewissen Pragmatismus, um die Einheitlichkeit der Verwaltungsabläufe zu gewährleisten. So war im internen Behördenverkehr bei Post, Militär oder Eisenbahn die deutsche Ortsnamenform – soweit überhaupt vorhanden – maßgeblich.
Im Zeitalter des grassierenden Nationalismus wurde die Frage der Schreibung der topographischen Eigennamen auf lokaler Ebene zu einem Streitthema. Als Extremfall sei hier das Küstenland angeführt, wo für ein und denselben Ort deutsche, italienische, slowenische, kroatische und weitere Namensformen existierten, wie z. B. im Fall der Stadt Görz, die von den Italienern Gorizia, von den Slowenen Gorica und von den Furlanen Gurize genannt wurde. Selbst bei paralleler Verwendung der verschiedenen Versionen wurde die Reihung diskutiert: Ob nun die italienische vor der slowenischen Version angeführt wurde oder umgekehrt, galt bereits als Hinweis auf die jeweiligen nationalen Besitzansprüche an diesen Ort.
Den ausgleichenden Bemühungen standen die Forderungen der nationalistischen Extremisten gegenüber, die – unter Weglassung der Namensformen in den jeweiligen Minderheitensprachen – nur einsprachige Namensformen in der Sprache der Mehrheitsnationalität dulden wollten. Durchgesetzt wurde dies jedoch nur in Ungarn, wo nach 1900 nur mehr ausschließlich die ungarische Version des Ortsnamens in amtlichen Schriftstücken verwendet wurde, unabhängig von den lokalen Nationalitätenverhältnissen.
Kann, Robert A.: Zur Problematik der Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie 1848–1918, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 1304–1338
Stourzh, Gerald: Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848 bis 1918, Wien 1985