Die Schulpolitik stellte ein sensibles Thema im Vielvölkerstaat der Habsburger dar. Vor allem die Frage der Unterrichtssprache war heiß umstritten. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 verfolgten die beiden Reichsteile recht unterschiedliche Ziele.
Verfassungsmäßig war die Sache klar: In der Dezember-Verfassung von 1867 hieß es unter Artikel 19 bezüglich der Gleichberechtigung aller Volksstämme der Habsburgermonarchie in puncto Schulwesen: „In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache auch die Volksstämme, welche in der Minderheit sind, die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in ihrer Sprache erhalten.“
Der Teufel steckte jedoch wie so oft im Detail, denn das Ideal einer tatsächlichen, vollkommenen Gleichberechtigung der einzelnen in der Habsburgermonarchie existierenden Sprachen wurde niemals erreicht, und die Organisation des Unterrichtswesens spiegelte die allgemeine Nationalitätenpolitik der beiden Reichshälften wider.
In der österreichischen Reichshälfte lassen sich in der Schulpolitik zwei Entwicklungslinien erkennen. Aus der Pionierzeit des Grundschulwesens am Ende des 18. Jahrhunderts wirkte der zentralistische Zugang fort, wonach auch in nicht-deutschen Gebieten im Sinne der Wahrung des Einheitsstaates Deutsch zumindest als Zweitsprache gepflegt werden sollte. Im mittleren und höheren Schulwesen hatte die deutsche Unterrichtssprache ohnedies den Vorrang. Hier ging es weniger um die Germanisierung nichtdeutscher Bevölkerung, sondern um die Einführung des Deutschen als einheitliche Verkehrs- und Gelehrtensprache. Das Deutsche galt in dieser Hinsicht als der kleinste gemeinsame Nenner, da es ohnedies bereits die am weitesten verbreitete Sprache in der Habsburgermonarchie war. Die vereinheitlichende Funktion des deutschen Unterrichtswesens blieb weiterhin das Ideal der deutschliberalen Vertreter der Gesamtstaatsidee.
Dagegen wehrten sich die erwachenden Völker der Habsburgermonarchie und begannen, gegen das Primat des Deutschen aufzutreten. Der föderalistische Ansatz in der Schulpolitik führte zu einer Nationalisierung des Schulwesens. Vor allem im Grundschulwesen setzte sich die Regelung durch, dass die Unterrichtssprache nach der Mehrzahl der Schüler zu wählen sei. Aufgrund der multiethnischen Zusammensetzung der Habsburgermonarchie wurde der Grundschulunterricht in 14 Sprachen zugelassen, darunter auch in Griechisch im Gebiet der Militärgrenze, Armenisch in Galizien und Hebräisch in mehrheitlich jüdischen Gemeinden. Die Wahl der Unterrichtssprache war eine autonome Entscheidung der lokalen Gemeinde als Schulerhalterin. Dieser Zugang wurde in der Realität durch einen erbitterten Schulsprachenkampf auf lokaler Ebene aber oft konterkariert, der vor allem in gemischtsprachigen Gebieten zu einer Entfremdung der Sprachgruppen führen konnte.
Auf der Ebene des mittleren und höheren Schulwesens war die Eröffnung von staatlichen Gymnasien und höheren Schulen mit nicht-deutscher Unterrichtssprache zuweilen ein Politikum, das sich zu veritablen Staatskrisen auswachsen konnte. Die Durchsetzung einer nationalsprachlichen Universität galt für die nicht-deutschen Sprachgruppen als ultimativer Beweis der vollkommenen nationalen Entfaltung.
Anders war die Situation in Ungarn, wo man in der Schulpolitik ganz andere Lösung der Nationalitätenfrage verfolgte. Die Schulgesetzgebung im sich als magyarischer Nationalstaat verstehenden Ungarn stand ganz im Zeichen einer forcierten Magyarisierung. So wurde die Kenntnis der ungarischen Sprache auch von Lehrern in nicht-ungarischen Minderheitenschulen verlangt und in nicht-ungarischsprachigen Kindergärten und Volksschulen waren den Kindern die Grundelemente des Ungarischen verpflichtend beizubringen.
Im höheren Schulwesen war der Exklusivitätsanspruch des Magyarischen noch stärker ausgeprägt. Nur Mittelschulen mit ungarischer Unterrichtssprache wurden ab 1875 staatlich finanziert, sodass anderssprachige Gymnasien nur im Privatschulsektor existieren konnten. Mit Ausnahme Kroatiens, das sich eine gewisse Autonomie auch auf dem Unterrichtssektor erhalten konnte, war höhere Bildung nur über ungarische Vermittlung zugänglich. In der Folge litten die benachteiligten Nationalitäten an einem massiven „brain-drain“ zugunsten der Magyaren, denn viele Aufsteiger nahmen das ungarische Angebot des Aufgehens im Ungarntum oft bereitwillig an, um der perspektivenlosen Existenz in einer unterprivilegierten Minderheit zu entfliehen. Das Bekenntnis zum Ungarntum galt hier als Ticket für gesellschaftlichen Aufstieg und wirtschaftlichen Erfolg.
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