Avstrija, Rakousko, Ausztria, Аустрија, ... Die Frage der Staatssprache
Die Vielgestaltigkeit der Habsburgermonarchie ließ Österreich-Ungarn für Außenstehende wie ein modernes Sprachenbabel erscheinen. Verkompliziert wurde das heiß diskutierte Thema einer offiziellen Staatssprache durch die unterschiedliche Entwicklung in den beiden Reichsteilen nach dem Ausgleich von 1867.
In Ungarn, wo man das Prinzip der unteilbaren ungarischen Nation vertrat, die alle BürgerInnen des Landes unabhängig von ihrer individuellen ethnischen Herkunft umfasste, war Ungarisch/Magyarisch die Staatssprache. Die anderen Sprachen des multiethnischen Landes wie Slowakisch, Deutsch, Rumänisch, Serbisch oder Ruthenisch hatten den Status bloßer Minderheitensprachen und waren dem Ungarischen nur bedingt gleichgestellt. Eine Ausnahme bildete Kroatisch, da die Kroaten in Kroatien und Slawonien über eine Teilautonomie verfügten.
Nur auf der regionalen Ebene der Komitatsverwaltung bzw. in der lokalen Gemeindeverwaltung waren andere Sprachen neben dem Ungarischen als Amtssprachen zugelassen. Einen gewissen Freiraum hatten auch die Kirchen, die für ihren administrativen Gebrauch über Sprachregelungen autonom entscheiden konnten. Diese Bestimmungen wurden jedoch nie vollständig umgesetzt und in späterer Zeit durch gesetzliche Änderungen aufgeweicht, sodass die anderen Sprachen durch die forcierte Magyarisierungspolitik des ungarischen Staates zunehmend an den Rand gedrängt wurden.
In Bosnien-Herzegowina war die Staatssprache Serbo-Kroatisch, wobei die altösterreichische Administration nicht zwischen Kroatisch, Serbisch und Bosnisch differenzierte.
In der österreichischen Reichshälfte war das Deutsche zwar die dominierende, aber nie die offizielle Staatssprache. Diesbezügliche Versuche von deutsch-liberaler Seite wurden von den nicht-deutschen Abgeordneten im Reichsrat abgeblockt. Die Kompromisslösung, dem Deutschen den Status einer Vermittlungssprache zu geben – was der Realität entsprochen hätte und von den anderssprachigen Vertretern akzeptiert worden wäre –, wurde wiederum vonseiten der Deutsch-Österreicher abgelehnt.
Die Folgen der undefinierten Stellung des Deutschen machten sich auch in der Geschäftsordnung des österreichischen Reichsrates bemerkbar. Die Abgeordneten durften in ihrer jeweiligen Muttersprache reden, was eine Frage des Prestiges war. De facto war jedoch Deutsch die Verhandlungssprache, und so wurden stenographische Mitschriften auch nur von den in Deutsch gehaltenen Wortmeldungen angefertigt.
Insgesamt galten in der österreichischen Reichshälfte die Sprachen der acht verfassungsrechtlich anerkannten Nationalitäten als Staatssprachen: Neben Deutsch waren dies Italienisch, Polnisch, Rumänisch, Ruthenisch, Serbokroatisch, Slowenisch und Tschechisch.
Auf der Ebene der Landesverwaltung der einzelnen Kronländer unterschied man zwischen der Landessprache und landesüblichen Sprachen. In jedem Kronland gab es eine erste und eventuell eine zweite Landessprache, die den Status von Amtssprachen hatten. Fallweise konnten auch noch weitere Sprachen als landesüblich anerkannt werden, die dann jedoch nur mehr lokale Bedeutung hatten.
Deutsch war in allen Kronländern – mit Ausnahme Dalmatiens und de facto auch Galiziens (aufgrund der Durchsetzung der polnischen Landesautonomie) – als Landes- und somit auch als Amtssprache anerkannt.
In der Regel galt die Sprache der Mehrheitsbevölkerung als erste Landessprache. Einzig in Böhmen und Mähren war nicht Tschechisch, sondern Deutsch die erste Landessprache, obwohl sich die Tschechen in beiden Ländern in der Mehrheitsposition befanden. Dieser Umstand wurde von der tschechischen Nationalbewegung als grobe Benachteiligung empfunden und entfachte einen Streit, der die Habsburgermonarchie über Jahrzehnte beschäftigte, mehrere Regierungskrisen auslöste und nie wirklich gelöst wurde.
Gogolák, Ludwig: Ungarns Nationalitätengesetze und das Problem des magyarischen National- und Zentralstaates, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 1207–1303
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