Die Deutsch-Österreicher in der Habsburgermonarchie

Die Deutschsprachigen waren die größte ethnische Gruppe der Habsburgermonarchie. Als einzige der Sprachgruppen waren sie in fast allen Ländern Österreich-Ungarns präsent – jedoch in unterschiedlichem Ausmaß.

Die deutschsprachigen Österreicher verfügten vor allem in den Alpen- und Donauländern sowie in Teilen der böhmischen Länder über geschlossene Siedlungsgebiete. Daneben existierten kleinere und größere deutsche Sprachinseln in den östlichen Reichsteilen.

Die Deutschen waren zahlenmäßig eindeutig die stärkste Sprachgruppe. Bei der letzten Volkszählung in der Habsburgermonarchie im Jahre 1910 bekannten sich 12,6 Millionen Menschen zur deutschen Sprachgruppe, was einem Anteil von 23,9 % an der Gesamtbevölkerung Österreich-Ungarns entsprach. In Cisleithanien war der Anteil noch höher: Hier stellten die Deutschsprachigen ein Drittel der Bevölkerung, während sie in der ungarischen Reichshälfte nur gut 10 % ausmachten.

Der Schwerpunkt lag in den Donau- und Alpenländern, wo einige der Kronländer de facto sprachlich fast homogen deutsch waren. Dazu zählten Salzburg, Vorarlberg sowie Ober- und Niederösterreich – hier jedoch mit der Ausnahme von Wien, das als Hauptstadt eine besondere Anziehungskraft auf Zuwanderer aus allen Teilen des Reiches ausübte.

Dominant war die deutsche Sprachgruppe in der Steiermark (70,5 %), Kärnten (78,6 %) und Tirol (57,3 %). Diese Regionen waren oft Schauplatz von Nationalitätenkonflikten, denn der Anspruch auf das Primat des Deutschen in Unterrichtswesen und Verwaltung wurde von den jeweiligen Minderheiten (Slowenen bzw. Italienern) zunehmend infrage gestellt, was von den Deutschen rigoros abgelehnt wurde.

Umgekehrt waren die Verhältnisse in den böhmischen Ländern, wo die Deutschen eine – zwar kulturell und ökonomisch bedeutende – Minderheit darstellten. In Böhmen, wo die Deutschen 36,8 % der Bevölkerung ausmachten, lag ihr Schwerpunkt in Nord- und Westböhmen mit den Zentren Reichenberg (tschech. Liberec) und Eger (tschech. Cheb). Etwas schwächer waren sie in Südböhmen vertreten. In Mähren stellten die Deutschen 27,6 % der Bevölkerung. Die deutschen Mährer konzentrierten sich auf Süd- und Nordmähren. Es gab hier aber auch eine Vielzahl von deutschen Sprachinseln: So bestimmten einflussreiche deutsche städtische Eliten das Leben in vielen mährischen Städten wie Brünn (tschech. Brno) oder Iglau (tschech. Jihlava). Im ethnisch weniger eindeutigen österreichischen Teil Schlesiens bildeten die Deutschen die größte Gruppe mit 43,9 % und hielten hier die relative Mehrheit gegenüber Polen und Tschechen.

Die böhmischen Länder wurden Schauplatz von schweren Konflikten zwischen Deutschen und Tschechen. Die deutsche Maximalforderung zielte auf eine Herauslösung der deutschen Siedlungsgebiete aus dem historischen Rahmen der böhmischen Länder ab, während die Vertreter der tschechischen Mehrheit den Anspruch auf Hegemonie erhoben und auf die Wahrung der historischen Landeseinheit („Böhmisches Staatsrecht“) pochten.

In den übrigen Ländern der österreichischen Reichshälfte waren Deutsche entweder nur in verstreuten Sprachinseln (z. B. in Krain in der Region Gottschee/Kočevje) oder als Vertreter der zentralen Staatsmacht in Verwaltung und Armee oder als soziale Eliten (Adel, Großbürgertum) vertreten, ohne jedoch einen signifikanten Bevölkerungsanteil zu erreichen.

Einen Sonderfall stellte die Bukowina dar, wo keine Nationalität über eine dominierende Mehrheit verfügte. Die vergleichsweise starke Stellung der deutschen Sprachgruppe war hier vor allem den Juden zu verdanken: Von den 21,2 % der Bukowiner, die sich zur deutschen Umgangssprache bekannten, war der überwiegende Teil jüdischen („mosaischen“) Glaubens.

In der ungarischen Reichshälfte befanden sich die Deutschen in der Position einer nationalen Minderheit und waren wie die übrigen nicht-magyarischen Nationalitäten einem starken Magyarisierungsdruck ausgesetzt. Im Königreich Ungarn machte die deutsche Sprachgruppe 10,4 %, in Kroatien 5,1 % aus, wobei eine stark fallende Tendenz zu beobachten war, da vor allem im städtischen Umfeld das Bekenntnis zum Ungarntum im Vormarsch war. Die Präsenz der Deutschen war teilweise auf mittelalterliche Kolonisation (Westungarn, Bergstädter und Zipser Deutsche in Oberungarn, Siebenbürger Sachsen) oder auf neuzeitliche Siedlungsbewegungen zurückzuführen, als einige nach den langen Türkenkriegen verwüstete Gebiete Zentral- und Südungarns mit deutschen Kolonisten wiederbesiedelt worden waren (Donauschwaben, Banater Schwaben).

Bibliografie 

Rumpler, Helmut/Seger, Martin (Hrsg): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band IX/2: Soziale Strukturen, Wien 2010

Sutter, Berthold: Die Deutschen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 154–339

Urbanitsch, Peter: Die Deutschen in Österreich, Statistisch-deskriptiver Überblick, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 33–153

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.