Bewegungsfreiheit gefilmt – Sport, Turnier- und Körperkultur

Im Verlauf  des 19. Jahrhunderts wurde der Sport immer mehr Teil der Massenunterhaltung, zugleich setzte eine Professionalisierung vieler Sportarten ein. Man investierte zunehmend Geld in die entsprechende Ausrüstung. Ob als Teil der Freizeitkultur der begüterten Oberschicht oder der „Massen“ – die Kinematographie hielt das sportliche Treiben in Momentaufnahmen fest.

Die wachsende Popularität von sportlichen Wettkämpfen stand einerseits mit militärischen Interessen in Verbindung, andererseits mit einer verstärkten Leistungsorientierung. Zudem griff auch hier ein Stück weiblicher Emanzipation: Wandern und Bergsteigen, Schwimmen, Eislaufen und Turnen, Radfahren, Tennis und Skifahren wurden auch von Frauen aktiv betrieben.

Viele Sportarten erlebten einen Aufschwung, wenn neue Wege der Distanzierung von der „Allgemeinheit“ auch in diesem Feld gesucht wurden. Das trifft etwa auf den Tennissport zu: Als das Fahrrad als „nicht mehr mondän genug“ galt, da es bereits als Massensportgerät und -verkehrsmittel etabliert war, boten diverse „Cyclisten-Clubs“ ihren Mitgliedern die Nutzung von Tennisplätzen an. Ein neuer Mode- und Gesellschaftssport war gefunden, der den Salon ersetzte.

Der über Turniere ausgetragene Pferdesport erlebte vor dem Ersten Weltkrieg seine Blüte. Offiziere, Adelige, Industrielle und Großbürger besuchten mit ihrer weiblichen Begleitung Galopp- und Trabrennen. Man demonstrierte seinen finanziellen Status – sowohl in der äußeren Erscheinung als auch mittels der Pferde und Reiter, die man ins Rennen schickte. Selbst während des Ersten Weltkrieges ließ man sich dieses gesellschaftliche Spektakel nicht entgehen. Die „Sascha-Filmfabrik“ berichtete über „Das österreichische Kriegs-Derby 1915“ (A 1915). Ungeachtet der politischen Situation sammeln sich Militärs, Aristokraten, Groß-, Mittel- und Kleinbürger in der Wiener Freudenau, um das Galopp-Derby zu beobachten. Kamerareporter sind zur Stelle, um den Sieger – Jockey Csiszar mit dem Pferd Tovább – zu dokumentieren.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand auch der elitär eingeführte Fußballsport allmählich Zulauf. Der 1894 erstmals von Großindustriellen und Erzherzögen in Wien gespielte Sport entwickelte sich rasch zu einer Domäne der Arbeiter. 1898 kam es zur Gründung des ersten Wiener Arbeiter Fußball Clubs.

Die Anfänge des Skisports in den 1880er Jahren waren ebenfalls städtisch. In der Nähe von Wien, am Semmering, in Lilienfeld und in Mürzzuschlag, war dieser Wintersport schon vor 1914 durchaus populär. 1903 hatte die Südbahn erstmals einen „Sportzug“ in den Fahrplan aufgenommen und die Tageszeitung „Neue Freie Presse“ begann über aktuelle Pistenverhältnisse zu berichten.

Auch das Schwimmen fand in immer breiteren Bevölkerungskreisen Zuspruch; das Badewesen nahm allen voran in der Residenzstadt einen Aufschwung. Entstanden in den 1840er Jahren Badehäuser mit beheizbaren Schwimmhallen, welche vor allem feudal-bürgerlichen Ansprüchen entsprachen, so richtete die Gemeinde ab 1887 städtische Brausebäder („Tröpferlbad“) ein, die der Körperreinigung dienten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden am Donaukanal Strombäder errichtet. Diese standen im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege, ihr Betrieb war nicht auf Gewinn ausgerichtet. So nutzten zusehends breitere Bevölkerungsschichten die Schwimm- und Bademöglichkeiten.

Das „Strandbad der Commune Wien“, das Gänsehäufel, wurde am 5. August 1907 eröffnet und war für 666 Badegäste angelegt. Im Jahr 1913 war Platz für 7.200 Personen, und 1917 zählte man schon bis zu 12.000 Badegäste an einem Tag. Das älteste Filmdokument zur Wiener Badekultur gibt Einblick in das heitere Treiben im Strandbad „Gänsehäufel“ (A 1911). „Damen-Abteilung“, „Herrenbad“ und „Familienbad“ verweisen darauf, dass althergebrachte moralische Normen nachwirken. Doch der Weg hin zu einem neuen Körperverständnis und Lebensgefühl ist allseits spürbar: Neckisch legt eine junge Frau Jacke und Schuhe ab, um sich kurz in die Umkleidekabine zurückzuziehen. Sie erscheint im Badekostüm, zündet sich genüsslich eine Zigarette an. Pure Lebensfreude vermittelt das Gezeigte: Plantschen, Spielen, Sonnenbaden, Rangeln. Doch die Posen bleiben nie aus: Mann und Frau inszenieren sich vor der Kamera, ein Schauspiel wird dargeboten. Erholungsraum und Erlebniswelt, Ertüchtigungsareal und Gesundheitsoase, Familientreff und Kontaktbörse – all diese Zuschreibungen finden sich bereits in diesem ersten filmischen Dokument zur Geschichte des Badewesens in Wien.

Bibliografie 

Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien, Band 1, Wien 1997

Sandgruber, Roman: Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995

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  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?