Der neue Kaiser

Der Tod Franz Josephs kam nicht überraschend, bedeutete für die Habsburgermonarchie aber den Verlust einer wichtigen Symbolfigur. Der Thronwechsel wurde in der Propaganda für die kriegsmüde Öffentlichkeit als Zeichen einer neuen Zeit dargestellt.

Dieser Hoffnung wurde auch bewusst in der Choreographie des Begräbnisses von Franz Joseph Ausdruck verliehen, bei dem das junge Kaiserpaar Karl und Zita hinter dem Sarg ging. An der Hand seiner Eltern stach der vierjährigen Kronprinz Otto – inmitten der durchgehend in Schwarz gehaltenen Trauerprozession ganz in strahlendes Weiß gekleidet – als Symbol für die hoffnungsfrohe Zukunft der Dynastie heraus.

In Karl kam am erstarrten Wiener Hof eine neue Generation zum Zug, die einen anderen Zugang zu den habsburgischen Traditionen hatte. Die Unterschiede zeigten sich im Umgang Karls mit seiner Umgebung: Franz Joseph agierte stets sehr distanziert, um die Würde der Majestät zu bewahren. Er legte einen deutlichen Abstand zwischen seine Person und den Rest der Menschheit. Der alte Kaiser wurde nie persönlich, fragte nie um Rat. Er hörte die Meinung verschiedener Berater und gab dann seine unumstößliche Entscheidung bekannt.

Karl hingegen agierte persönlicher, menschlicher und pflegte einen umgänglichen Stil. Etliche Details der antiquierten Etikette wurden aufgegeben: So reichte Karl zur Begrüßung die Hand, und Gesprächspartner wurden bei Audienzen aufgefordert, Platz zu nehmen, was bei Franz Joseph undenkbar gewesen war. Daraus sprach ein anderes Selbstverständnis als Herrscher: Galt Franz Joseph als ein bereits zu Lebzeiten erstarrtes  Denkmal seiner selbst, setzte Karl, ganz durchdrungen von einem stark ausgeprägten dynastischen Sendungsbewusstsein, auf Charisma – das ihm aber zuweilen zu fehlen schien. Der alte Kaiser war unnahbar und dem Alltag entrückt, während Karl ganz im Hier und Jetzt stehen wollte, was ihn aber umso angreifbarer machte.

Auch war Karl das Kind einer anderen Zeit und hatte einen offeneren Zugang zu moderner Technik: Anders als Franz Joseph waren ihm Telephon, Automobil und andere Zeichen der Moderne selbstverständlicher Teil des Alltags. Auch pflegte Karl eine andere Geschwindigkeit bei der Entscheidungsfindung, was ihm den Spottnamen „Karl der Plötzliche“ einbrachte.

Viele seiner ad-hoc-Entscheidungen waren allerdings von Inkonsequenz und Unschlüssigkeit geprägt. Karl sprühte vor Ideen, fand aber keine Möglichkeiten zur Umsetzung, da er in seiner Naivität und Unerfahrenheit oft an den etablierten Machtzirkeln und der „Realverfassung“ der Monarchie scheiterte.

Außerdem galt der junge Monarch als leicht beeinflussbar und stand stark unter dem Einfluss seiner Gattin Zita und eines Zirkels von Vertrauten und Freunden, der sich um ihn zu bilden begann. Dagegen ignorierte er häufig die Meinung offizieller Berater und Experten.

Stellvertretend für die Zweifel an der Eignung Karls als Regent der Donaumonarchie sei hier Ernest von Koerber zitiert, der während des Thronwechsels kurzfristig als Ministerpräsident fungierte. Im Oktober 1916 von Franz Joseph kurz vor seinem Tod auf den Posten berufen, demissionierte Koerber wegen massiver Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Kaiser Karl bereits im Dezember desselben Jahres. Koerber beurteilte die schwierige Situation vollkommen illusionslos, als er meinte: „Der alte Kaiser war 60 Jahre lang bemüht, die Monarchie zugrunde zu richten und hat es nicht geschafft; der junge wird das in zwei Jahren fertigbringen.“

Er sollte Recht behalten …

Bibliografie 

Brook-Shepherd, Gordon: Um Krone und Reich. Die Tragödie des letzten Habsburgerkaisers, Wien 1968

Broucek, Peter: Karl I. (IV.). Der politische Weg des letzten Herrschers der Donaumonarchie, Wien 1997

Demmerle, Eva: Kaiser Karl I. „Selig, die Frieden stiften …“. Die Biographie, Wien 2004

Gottsmann, Andreas (Hrsg.): Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, Wien 2007

Leidinger, Hannes; Moritz, Verena; Schippler, Berndt: Schwarzbuch der Habsburger. Die unrühmliche Geschichte eines Herrscherhauses, 2. Auflage, Innsbruck, Wien 2010

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien u. a. 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Habsburgermythos – Die Dynastie vor und nach 1918

    Die Dynastie Habsburg-Lothringen bildete das ideologische Fundament der Habsburgermonarchie, denn die Existenz des Vielvölkerstaates ist in erster Linie als Produkt der dynastischen Geschichte des Herrscherhauses zu verstehen.