Kaiser Wilhelm II.: Der geliebte Feind

Wie im Habsburgerreich war das politische System des Deutschen Kaiserreiches von der starken Rolle des Monarchen geprägt.

Die deutsche Kaiserdynastie der Hohenzollern hatte ihre Wurzeln im preußischen Königtum. So sah sich Kaiser Wilhelm I. (1797–1888), obwohl seit 1871 der erste Kaiser des geeinten Deutschlands, in erster Linie als preußischer Monarch. Verehrt als Vaterfigur, starb er 1888 hochbetagt mit 91 Jahren. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm (1831–1888) galt schon als Kronprinz als liberale Nachwuchshoffnung, war jedoch schwer krank. An Kehlkopfkrebs und daraus resultierendem Stimmverlust leidend, verstarb er nach nur 99 Tagen Regentschaft. Sein Sohn Wilhelm (1859–1941) war das genaue Gegenteil des Vaters: Eindeutig als extrem konservativ positioniert, kam Wilhelm II. im Juni 1888 mit 29 Jahren an die Macht.

Die beiden Herrscherpersönlichkeiten, Franz Joseph und Wilhelm II., trennte ein deutlicher Altersunterschied: Wilhelm gehörte einer jüngeren Generation an, denn er war fast gleich alt wie Franz Josephs Sohn Kronprinz Rudolf, mit dem er oft verglichen wurde. In einer propagandistisch verbreiteten Freundschaft zwischen den beiden Prinzen sollte sich die politische Annäherung der beiden Reiche widerspiegeln. In Wahrheit war das Verhältnis der beiden zueinander aber von deutlichen Meinungsverschiedenheiten und einem kühlen Konkurrenzdenken geprägt, das sich dramatisch steigern sollte, als Wilhelm 1888 an die Macht kam, während Rudolf weiterhin in der Warteposition verharren musste.

Wilhelm hatte ein äußerst reaktionäres Verständnis von monarchischer Herrschaft, während Rudolf liberalen Ideen anhing. Der Hohenzollern-Prinz war geradezu eine Verkörperung des Preußentums: Militaristisch und ‚zackig’, großspurig und deutschnational mit deutlich chauvinistischer Note agierte er aus einer Position der Stärke. In Wilhelms Überheblichkeit spiegelte sich das Selbstbewusstsein Deutschlands als neue Führungsmacht in Zentraleuropa, was in der, nach der schmerzvollen Niederlage im deutschen Einigungsprozess in ihrem Selbstverständnis erschütterten Habsburgermonarchie als Bedrohung gesehen wurde. Wien reagierte mit einer Mischung aus Bewunderung und trotzigem Beharren auf die ehrwürdigen Traditionen habsburgischer Herrschaft. Vor allem deutschnationale Kreise sahen in Wilhelm ihren ‚wahren’ Herrscher, und beim Antrittsbesuch des neuen deutschen Kaisers in Österreich im Oktober 1888 hatten die österreichischen Behörden größte Mühe, die Ovationen im Zaum zu halten, um peinliche Szenen für Franz Joseph zu vermeiden.

Wilhelms Verhältnis zu Erzherzog Franz Ferdinand war deutlich besser: Die beiden Männer standen sich weltanschaulich näher und zuweilen entwickelten sie durchaus Sympathie für einander, vor allem dank des zuvorkommenden Verhaltens Wilhelms gegenüber der nicht standesgemäßen Gemahlin des österreichischen Thronfolgers: Als der deutsche Kaiser als erster Monarch die zuvor offiziell nicht in Erscheinung tretende Sophie ausdrücklich zu einem Staatsbesuch einlud, war das Eis gebrochen und Franz Ferdinand fühlte sich – trotz gewisser politischer Differenzen – Wilhelm gegenüber zu Dank verpflichtet.

Wilhelms Persönlichkeit war nicht zuletzt von seiner Körperbehinderung geprägt, denn aufgrund einer schwierigen Geburt war sein linker Arm bewegungsunfähig. Biographen sehen darin den Grund für ein gestörtes Selbstwertgefühl, das er durch Männlichkeitswahn und Verherrlichung des Soldatentums überspielen wollte.

Seine 30jährige Regentschaft wird als „Wilhelminische Epoche“ bezeichnet und war geprägt von einer Verfestigung der Großmachtstellung Deutschlands, einem forcierten Ausbau der Kolonien und einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung. Die Schattenseite waren eine massive Aufrüstung und eine aggressive Außenpolitik sowie ein die Gesellschaft durchdringender Militarismus. Wilhelm machte aus seiner Feindschaft mit Frankreich keinen Hehl und war persönlich auch gegen Großbritannien eingestellt, obwohl der englische Hof traditionell – auch aufgrund mehrfacher familiärer Bindungen (Wilhelm war mütterlicherseits ein Enkel von Queen Victoria) – zu den befreundeten Mächten zählte.

Sein Verhältnis zu Österreich-Ungarn, dem aufgrund des Zweibunds von 1879 engsten Verbündeten Deutschlands, war von seinem fehlenden Verständnis für die diffizilen Probleme des heterogenen Vielvölkerstaates geprägt. Wilhelm nahm sich bei der Beurteilung der Situation in der Doppelmonarchie kein Blatt vor dem Mund. Der deutsche Kaiser kritisierte offen die militärische und politische Schwäche seines Bundesgenossen und glaubte generell das Übel in der „landestypischen Schlamperei“ erkannt zu haben.

Wilhelms Rolle beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs war ambivalent. In seinem bellizistischen Weltbild sah er den finalen Entscheidungskampf zwischen Germanen und Slawen heraufdämmern. Andererseits startete er aber auch Versuche, den Krieg gegen Russland mithilfe eines Appells an die dynastische Solidarität zwischen den Monarchen zu verhindern. Schließlich bestätigte er aber seine uneingeschränkte Unterstützung der österreichischen Kriegspolitik gegen Serbien und gab so den Weg frei für eine kriegerische Eskalation.

Im Laufe des Weltkrieges geriet der Kaiser, der trotz seiner Begeisterung für alles Militärische nur über eine mäßige strategische Begabung verfügte, ins Hintertreffen gegenüber der Obersten Heeresleitung der deutschen Armeen, die eine geradezu diktatorische Machtvollkommenheit entwickelte. Wilhelm blieb aber weiterhin nach Außen die bestimmende Symbolfigur und trat viel aktiver in Erscheinung als Franz Joseph. Aufgrund des Machtvakuums, das sich durch die Nicht-Präsenz des greisen Habsburgers auftat, übernahm der deutsche Kaiser die Rolle der führenden Herrscherpersönlichkeit im Lager der Mittelmächte – eine Konstellation, in der auch später der junge Kaiser Karl keine ernsthafte Konkurrenz darstellte.  

Am 9. November 1918 zur Abdankung gezwungen, ging Wilhelm II. ins niederländische Exil, wo er 1941 verstarb. 

Bibliografie 

Bled, Jean-Paul: Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger, Wien u. a. 2013

Clark, Christopher M.: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008

Leidinger, Hannes/Moritz, Verena/Schippler, Bernd: Schwarzbuch der Habsburger. Die unrühmliche Geschichte eines Herrscherhauses (2. Auflage, ungekürzte Taschenbuchausgabe), Innsbruck [u.a.]  2010

Röhl, John C. G.: Wilhelm II., München 2013

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