Das „Künstlerhaus“ und die „Secession“ als „Kriegs-Hilfsspitäler“
Auch Künstlervereinigungen und Künstlerinnen und Künstler erfasste der allgemeine Kriegstaumel und sie stellten sich in den Dienst des „Vaterlandes“. So wurden das „Künstlerhaus“ und temporär auch die „Secession“ als Hilfsspitäler eingerichtet, wobei für die Ausstattung und Verpflegung erhebliche private Spenden flossen.
Neben anderen Berufsgruppen erfasste auch viele Künstler jener patriotische Kriegstaumel, der während der ersten Wochen und Monate das Geschehen an der „Heimatfront“ bestimmte. Zu jenen Institutionen, die sich in den „Dienst des Vaterlandes“ stellten, gehörte die 1861 gegründete Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens mit ihrem Sitz im Künstlerhaus. Das Gebäude wurde dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt und im August und September 1914 entsprechend als Ersatzspital adaptiert. Am 23. September wurde das Wiener Künstlerhaus als „Vereins-Reskonvaleszentenheim Künstlerhaus des Patriotischen Hilfsvereins vom Roten Kreuze für Niederösterreich“ in Betrieb genommen und blieb bis Kriegsende in dieser Funktion bestehen. Trotzdem konnte der Ausstellungsbetrieb fortgeführt werden. Insgesamt fanden während des Krieges 28 Ausstellungen statt.
Zwei erhalten gebliebene Original-Schiefertafeln illustrieren den Spitalsbetrieb im Künstlerhaus. Der verwundete Infanterist Julius Konobel wurde am 14. Dezember 1915 mit der Diagnose „Durchschuss des linken Oberarmes“ aufgenommen, der Infanterist Jova Markovic am 8. Oktober 1918. Er hatte einen Steckschuss im linken Unterschenkel erlitten. Vermerkt waren auf den Tafeln auch das religiöse Bekenntnis und die Muttersprache. Im Fall von Markovic: griechisch orientalisch, bosnisch.
Im Erdgeschoss des Künstlerhauses befand sich ein zentraler Genesungsbereich mit Erholungs- und Rauchsaal. In den Ausstellungsräumen waren die Schlafsäle untergebracht, mit über 260 Betten, deren Ausstattung mit Bettzeug von den Mitgliedern der Künstlergenossenschaft durch Spenden finanziert und organisiert wurde, ebenso wie Nahrungs- und Genussmittel und Möbel. Weiters wurden Waschanlagen, Verbandszimmer, ein Operationssaal, ein Medikamentenzimmer und eine Nähstube eingerichtet und die Küche adaptiert.
Den Pflegedienst übernahmen 16 geistliche Schwestern der Franziskanerinnen, die im ersten Stock untergebracht wurden, das Rekonvaleszentenheim unterstand organisatorisch und medizinisch dem St. Rochus Spital. Mehrere zivile Ärzte waren aktiv. Die geistlichen Schwestern verließen im April 1918 das Haus, die Pflege wurde von Schwestern des Roten Kreuzes und den Damenkomitees übernommen. Im November 1918 wurde das Lazarett offiziell aufgelöst.
Auch die Wiener Secession wurde als „Vereins-Reserve-Spital Nr. 5 des Patriotischen Hilfsvereins vom Roten Kreuze für Niederösterreich“ in den Jahren 1914 bis 1917 umgewidmet. Schon im August 1914 stellte die Vereinigung das Gebäude dem Roten Kreuz als Spital zur Verfügung. Der Ausstellungsbetrieb wurde völlig eingestellt und in dem einstöckigen Haus ab August 1914 ein Spital errichtet. Die Ausstellungsräume wurden als Krankensäle umfunktioniert, an der Rückseite des Gebäudes eine Aufnahme- und Reinigungsbaracke angebaut.
Im Gegensatz zum Künstlerhaus wurde bereits Anfang 1917 das Spital in der Secession aufgelassen. Nach der Schließung nahm die Künstlervereinigung wieder ihren gewohnten Betrieb auf und eröffnete im September 1917 die 48. Ausstellung.
Aichelburg, Wladimir: Das Wiener Künstlerhaus 1861–2001, Band 1: Die Künstlergenossenschaft in ihrer historischen Entwicklung und ihre Rivalen Secession und Hagenbund (Monographien zur Kunst Österreichs im zwanzigsten Jahrhundert I/1), Wien 2003
Rachler, Paul: Verwundete im Ausstellungshaus. Die Wiener Secession und das Wiener Künstlerhaus im Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918, in: zeitreise österreich. Menschen – Gesellschaft – Geschichte, Sondernummer 2012: Der Erste Weltkrieg, Wien 2014, 70–73
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Kapitel
- ‚Moderne‘ Waffentechnik und der Todesreigen in den ersten Kriegsmonaten
- Spitalskapazitäten, Epidemiedienst und der rasche Mangel an medizinischen Fachkräften
- Wiener Not-(Baracken-)Spitäler
- Die Universität und andere Ersatzspitäler
- Das „Künstlerhaus“ und die „Secession“ als „Kriegs-Hilfsspitäler“
- Verwundetentransporte, Verpflegung und Betreuung
- „Gebessert“ entlassen und für den Krieg „aufgepäppelt“