‚Moderne‘ Waffentechnik und der Todesreigen in den ersten Kriegsmonaten
Die Oberkommandierenden der k. u. k. Armee verfolgten in den ersten Monaten eine Offensivtaktik, was angesichts der modernen Waffentechnik bei den Kämpfen an der russischen und serbischen Front zu großen Verlusten führte. Weder an der Front noch im Hinterland war man auf die enorme Zahl von verwundeten Soldaten und Offizieren vorbereitet.
Die kommandierenden Militärs aller kriegsführenden Staaten hatten zu einem erheblichen Teil im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre Offiziersausbildung erhalten. Österreich-Ungarn stellte in dieser Beziehung keine Ausnahme dar. Im Gegenteil: der Oberkommandierende Feldmarschall Franz Conrad von Hötzendorf (1852–1925), des „Kaisers Falke“, war ebenso wie Oskar Potiorek, der die für die k. u. k. Armee desaströse erste Phase des Kriegs gegen Serbien am Balkan leitete, im Alter von über 60 Jahren. Sie gingen daher von einem Offensivkampf aus, der angesichts der Entwicklung moderner Waffentechnik keineswegs mehr adäquat war. Das hatte zur Folge, dass schon nach den ersten Kämpfen an der russischen und serbischen Front österreich-ungarische und feindliche Soldaten und Offiziere in großer Zahl fielen, manche Selbstmord begingen und viele mit Schusswunden und anderen Verletzungen von der Front nach Wien gebracht wurden.
Die Zahl der ab Ende August 1914 nach Wien verbrachten Verwundeten schwoll auf eine Viertelmillion und mehr an. Nicht wenige Offiziere und einfache Soldaten erlagen in Wiener Spitälern und Lazaretten ihren schweren Verletzungen. Den Todesreigen eröffnete am 7. September 1914 der 26-jährige Infanterist Alois Newrzival, der im Allgemeinen Krankenhaus an den Folgen einer Schusswunde starb. Am selben Tag verschied der 28-jährige russische Infanterist der Reserve Andreas Lapschin im Jubiläumsspital im 13. Bezirk ebenfalls an den Folgen einer Schusswunde. Der erste Wiener Soldat, der auch in einem Wiener Spital verstarb, war der 22-jährige Arbeiter Josef Michalatsch. Er beging am 26. September 1914 im Rudolfspital Selbstmord.
Zwar fiel in den ersten Kriegsmonaten eine besonders hohe Zahl an Offizieren und einfachen Soldaten, doch nahmen die Verluste damit kein Ende. Die Isonzo-Schlachten, die Südtirol-Offensive im Frühjahr 1916, die russische Brussilov-Offensive und die letzte Offensive der k. u. k. Armee im Juni 1918 am Piave sorgten für weitere schwere menschliche Verluste.
Insgesamt starben während des Ersten Weltkrieges rund 22.000 Militärs in Wien. Besonders hohe Zahlen an Todesfällen waren im November und Dezember 1914, von April bis Oktober 1917 und im ganzen letzten Kriegsjahr zu verzeichnen. Gegen Kriegsende verschob sich allerdings die Haupttodesursache von den Schussverletzungen und den vereinzelt auftretenden „Kriegsseuchen“ – eine kleinere Typhus- und Blatternepidemie im Herbst 1914 und Winter 1914/15, eine Ruhrepidemie 1917 –, zur nicht unmittelbar mit den Kriegsereignissen im Zusammenhang stehenden, aber wahrscheinlich von US-Soldaten ausgelösten „Spanischen Grippe“ bzw. zu damit in Verbindung stehenden „Lungenentzündungen“. Ein prominentes Grippeopfer war der nicht zum Heer eingezogene Maler Egon Schiele, der Ende Oktober 1918, wenige Tage nach seiner Frau, in Wien verstarb.
Magistrat der Stadt Wien: Statistische Mitteilungen, Monatsberichte 1914–1918
Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2013
Rosenfeld, Siegfried: Die Wirkung des Krieges auf die Sterblichkeit in Wien, Wien 1920
Weigl, Andreas: Eine Stadt stirbt nicht so schnell. Demographische Fieberkurven am Rande des Abgrunds, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 62-71
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Kapitel
- ‚Moderne‘ Waffentechnik und der Todesreigen in den ersten Kriegsmonaten
- Spitalskapazitäten, Epidemiedienst und der rasche Mangel an medizinischen Fachkräften
- Wiener Not-(Baracken-)Spitäler
- Die Universität und andere Ersatzspitäler
- Das „Künstlerhaus“ und die „Secession“ als „Kriegs-Hilfsspitäler“
- Verwundetentransporte, Verpflegung und Betreuung
- „Gebessert“ entlassen und für den Krieg „aufgepäppelt“