Die Universität und andere Ersatzspitäler

Einen seltsamen Funktionswandel erlebten neben anderen Institutionen auch die Wiener Universität und die Technische Hochschule. Sie wurden zu Ersatzspitälern umfunktioniert. Aufgrund der stark rückläufigen Studierendenzahlen, unter denen erstmals Frauen stärker vertreten waren, konnte dennoch der Lehrbetrieb fortgesetzt werden.

Zu prominenten Wiener Gebäuden, die zu Reservespitälern umfunktioniert wurden, zählten das Parlament, die Universität, die Technische Hochschule, die „Sezession“ und auch das Künstlerhaus. Ihre Umfunktionierung musste für Zeitgenossen bizarr wirken und verwies aber auf den ersten „totalen Krieg“.

Zu einem der Ersatzspitäler wurde schon unmittelbar nach Kriegsbeginn die Universität Wien umfunktioniert. Zu diesem Zweck wurde das Hauptgebäude in ein Hilfslazarett verwandelt. Während im kleinen Festsaal Operationen durchgeführt wurden, diente der große Festsaal als zentraler Speise- und Aufenthaltsraum, der Juristentrakt als Quarantänestation. Die Arkaden bevölkerten nun rekonvaleszente, verwundete Militärs. Die höher gelegenen Hörsäle wurden zu 26 Krankenzimmern mit einer Kapazität von etwa 800 Betten umfunktioniert. Insgesamt wurden bis zu seiner Schließung als Reservelazarett am 15. September 1916 rund 15.000 verwundete Militärs in der Universität betreut. Der Lehrbetrieb ließ sich dennoch relativ problemlos aufrechterhalten, da die Zahl der Studierenden durch die kriegsbedingten Einrückungen drastisch sank.

Auch die Technische Hochschule und die Universität für Bodenkultur dienten während des Krieges als Ersatzspitäler. Diese großen Gebäude eigneten sich durch die Existenz von (Hör-)Sälen, Ausstellungsräumen und ihrer technischen Ausstattung besonders für diese Funktion.

Auch Schulen erklärte man zu Ersatzspitälern. Insgesamt wurden 150 städtische Schulgebäude für militärische Zwecke genutzt und zwar als Quartier, als Militärkanzleien und 65 Häuser auch als Ersatzspitäler und Rekonvaleszentenhäuser. Von diesen Gebäuden wurde eine größere Zahl im Lauf des Jahres 1917 der Schulverwaltung zurückgegeben, wobei die baulichen Veränderungen in Form von Bade- und Desinfektionsanlagen, Küchen, Beleuchtungsanlagen je nach Bedarf für den Schulbetrieb belassen wurden.

Das großteils ‚angelernte‘ Pflegepersonal kam nach stark verkürzter Ausbildungszeit zum Einsatz, da der Bedarf enorm war und bis Kriegsende nicht abnahm. Eine Ausnahme bildeten Spitalsärztinnen, die nun temporär in Funktionen aufrücken konnten, die ihnen in Friedenszeiten nie zugängig gewesen waren. Zusätzlich wurden in den ersten Kriegsmonaten auch deutsche Berufspflegerinnen angeworben. In der Universität erhielten 600 Studenten und Studentinnen einen Crashkurs in Krankenpflege. Trotz weiterer Diskriminierung beförderte all das mittelfristig die Professionalisierung weiblicher Berufstätigkeit im Gesundheitswesen.

Bunt war auch die Zusammensetzung der Patienten aus allen Teilen der Monarchie, den verbündeten Ländern und den Kriegsgegnern. So bevölkerten Bosnier, Ruthenen (Ukrainer), Russen, Serben und Angehörige anderer Nationalitäten die Wiener (Ersatz-)Spitäler.

Bibliografie 

Arias, Ingrid: Die ersten Ärztinnen in Wien, in: Bolognese-Leuchtenmüller, Birgit/Horn, Sonja (Hrsg.): Töchter des Hyppokrates, Wien 2000, 55–78

Biwald, Brigitte: Krieg und Gesundheitswesen, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 294–301

Taschwer, Klaus: „Ein seltsamer Körper war diese Universität im Krieg“. Über die Alma Mater Rudolphina in den Jahren 1914 bis 1918 – und danach, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 502–513

Wettstein, Richard, Ritter von Westersheim: Rechenschaftsbericht über die Einrichtung eines Verwundetenspitals in der K. K. Universität Wien, Wien 1914

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