Spitalskapazitäten, Epidemiedienst und der rasche Mangel an medizinischen Fachkräften

Wien verfügte zwar für Friedenszeiten über eine nach zeitgenössischen Maßstäben durchaus beeindruckende Spitalsinfrastruktur. Für die unzähligen nach Wien verbrachten verwundeten und infektiös erkrankten Militärs, deren Zahl bis zu einer Viertelmillion anstieg, waren die Kapazitäten jedoch keineswegs ausreichend. Zu allem Überdruss fehlte es bereits nach wenigen Wochen an ausgebildeten Ärzten, die ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für die medizinische Versorgung einberufen worden waren.

Wie in so vielen anderen Bereichen war die Habsburgermonarchie auf einen Krieg in Weltkriegsdimensionen hinsichtlich der Spitalsinfrastruktur höchst ungenügend vorbereitet. Schon rasch wurde erkennbar, dass die Bettenkapazität bei Weitem nicht ausreichte, um die schwerverwundeten Soldaten, die von der Front nach Wien verbracht wurden, medizinisch zu betreuen. Schon nach Kriegsbeginn fehlte es an Ärzten und ausgebildetem Krankenhauspersonal. Da die Militärs in völliger Verkennung der Lage von einem raschen militärischen Erfolg ausgingen, wurden in den ersten Kriegsmonaten ohne Rücksicht auf die im Hinterland dringend benötigten medizinischen Fachkräfte Stellungspflichtige eingezogen. Auch viele Ärzte waren schon bei den ersten Einrückungswellen an die Front abgezogen worden, wurden verwundet, getötet oder gingen in größerer Zahl in Kriegsgefangenschaft. Deshalb bildete man Medizinstudenten in Schnellsiedekursen für den „Epidemiedienst“ aus und suchte unter den Flüchtlingen aus Galizien und der Bukowina weitere Ärzte. Auch für Vertragsärztinnen eröffneten sich auf Kriegsdauer neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie mussten jedoch schon Ende 1918 vielfach ihre Plätze für heimkehrende „Kriegsärzte“ räumen.

Im Jahr 1914 standen 38 Spitäler mit einer Kapazität von rund 8.600 Betten zur Verfügung. Davon entfielen jedoch etwa 600 Betten auf Kinderspitäler. Dazu kamen noch sechs Nervenheilanstalten mit etwa 2.500 Betten und sieben Rekonvaleszentenhäusern. In Summe verfügten diese Anstalten über fast 13.000 Betten. Die Hauptlast des stark gestiegenen Bedarfs an medizinischer Betreuung trugen die neun k. k. Fondsspitäler, allen voran das Allgemeine Krankenhaus, daneben waren aber auch das Kaiser-Franz-Joseph-Spital, die Krankenanstalt Rudolfstiftung und das Wilhelminenspital von großer Bedeutung. Die Kapazität dieser Fondsspitäler betrug rund 6.450 Betten. 

Diese Unterbringungsmöglichkeiten waren auch dringend nötig, denn ab dem 24. August 1914 trafen täglich in großen Massen Verwundete in Wien ein. Sie wurden hier medizinisch betreut, um wieder „kriegstauglich“ oder für das Zivilleben „arbeitstauglich“ gemacht zu werden. Geht man nach der Zahl der verwundeten und kranken, von den städtischen Straßenbahnen in Sonderzügen transportierten Soldaten, wurde 1916/17 mit über 300.000 transportierten Kranken ein Höhepunkt erreicht. Die Belagsdichte blieb aber bis Kriegsende und selbst unmittelbar danach sehr hoch.

Unmittelbar nach Beginn der Kriegshandlungen wurden auf Kosten der Zivilisten nach und nach etwa 7.000 Betten für Militärpersonen reserviert. Das sorgte nicht nur für eine bedrohliche Unterversorgung der Zivilbevölkerung. Die Kapazität reichte auch für die Bedürfnisse der Heeresverwaltung bei Weitem nicht aus. Während des Krieges betrug der Überbelag in manchen großen Spitälern bis zu 100 Prozent.

Bibliografie 

Biwald, Brigitte: Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 14/2), Wien 2002

Biwald, Brigitte: Krieg und Gesundheitswesen, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 294–301

Hofer, Hans-Georg: Mobilisierte Medizin. Der Erste Weltkrieg und die Wiener Ärzteschaft, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 302–309

Pawlowsky, Verena/Wendelin, Harald: Der Krieg und seine Opfer. Kriegsbeschädigte in Wien, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 310–317

Weigl, Andreas: Mangel – Hunger – Tod. Die Wiener Bevölkerung und die Folgen des Ersten Weltkriegs (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs Reihe B: Heft 90), Wien 2014

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Der industrialisierte Krieg

    Der Erste Weltkrieg war ein Krieg des enormen Materialeinsatzes. Die Armeen mit ihren Massenheeren mussten ausgerüstet und versorgt werden. Die Materialschlachten wären ohne die großindustrielle Herstellung von Waffen und anderen kriegsnotwendigen Produkten unmöglich gewesen. Nur durch die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte die riesige Kriegsmaschinerie aufrechterhalten werden.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.