Die Inflationsverlierer: Massive Reallohnverluste der Lohnabhängigen
Arbeiter und Angestellte litten in besonderem Maß unter der Geldentwertung. Der faktische Ausfall der gewerkschaftlichen Interessenvertretung infolge der Politik des 'Burgfriedens' hatte – ebenso wie bei den Beamten – starke Reallohnverluste zur Folge. Erst 1917 begann sich die Lage der Lohnabhängigen wieder zu bessern.
1913 hatte die volkswirtschaftliche Lohnquote 51 % betragen. Für die Zeit des Krieges liegen keine Zahlen vor, doch dürfte sie sehr stark gesunken sein. Erst nach dem Krieg stieg sie wieder an und erreichte 1924 – im ersten Jahr, für das wieder Berechnungen verfügbar sind – 57 %. Der kriegsbedingte Rückgang war eine Folge der 'Burgfriedenspolitik', wodurch die Freien Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei die Kriegspolitik des Staates unterstützten. Die Interessenvertretungen der Arbeiterschaft verzichteten mit Kriegsbeginn auf Lohnbewegungen und Streiks. Dies änderte sich erst 1916/1917, als es zu spontanen Streikbewegungen kam, die sich vor allem an der schlechten Ernährungslage entzündeten und eine gewisse Korrektur bei den Löhnen herbeiführten. Vor allem in den kriegswichtigen Betrieben kam es zu teilweise beträchtlichen Nominallohnerhöhungen und zur Gewährung von Teuerungszulagen. Insgesamt gesehen waren die Reallohnverluste im Krieg angesichts einer Versechzehnfachung des Preisniveaus enorm. Der Reallohnindex sank nach Berechnungen eines zeitgenössischen Experten – wenn man 1913/14 als Ausgangspunkt nimmt – bis 1916/17 auf einen Wert von 64 und fiel dann weiter auf 37 in der Periode 1917/18.
Man kann also ohne Übertreibung sagen, dass die Arbeiter den Krieg unfreiwillig 'mitfinanziert' haben. Gleichsam als Kompensation für den starken Rückgang der Löhne versuchten die Gewerkschaften eine Umverteilung innerhalb der Arbeiterschaft herbeizuführen, indem die Einkommen der Niedrigverdienenden auf Kosten der besser Qualifizierten stärker angehoben wurden. Es kam so zu einer Nivellierung des Verdienstes innerhalb der Arbeiterschaft. Ziel dieser Politik war es, Spannungen zwischen den einzelnen Arbeiterkategorien abzumildern.
Zugleich wurden ab Herbst 1916 von staatlicher Seite Maßnahmen zur sozialen Besserstellung der Lohnabhängigen ergriffen. Ende 1916 wurde das „Amt für Volksernährung“ errichtet. Des Weiteren wurden auf Basis einer kaiserlichen Verordnung vom 18. März 1917 Beschwerdekommissionen eingerichtet, die sich mit Lohnfragen und mit der Beseitigung von Übergriffen im Rahmen der militarisierten Arbeit befassten. Ein Mieterschutz für bestimmte Wohnungskategorien wurde eingeführt usw. Allen staatlichen Eingriffen zum Trotz wurden Hunger, Krankheiten und andere Mangelerscheinungen zum ständigen Begleiter der Bevölkerung. Die Desorganisation des Alltagslebens schritt weiter fort und es ist daher nicht erstaunlich, dass die soziale Unruhe anstieg.
Hautmann, Hans (Hrsg.): „Wir sind keine Hunde“. Das Protokoll des Arbeitertages vom 5. November 1916 in Wien, Wien 2009
Winkler, Wilhelm: Die Einkommensverschiebungen in Österreich während des Weltkrieges, Wien 1930
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Kapitel
- Die Aufbringung der Kriegskosten
- Die kriegsbedingte Inflation in Österreich
- Der Mechanismus der Kriegsfinanzierung
- Ausmaß, Verlauf und Auswirkung der Inflation 1914 bis 1918
- Die Inflationsverlierer: Massive Reallohnverluste der Lohnabhängigen
- Schuldentilgung durch Inflation
- Die finanziellen Folgen des Krieges für die neue Republik