Schuldentilgung durch Inflation

Am Ende des Ersten Weltkrieges herrschte in Österreich nicht nur materielle Erschöpfung, auch die Staatsfinanzen waren zerrüttet. Die Inflation ging weiter. Letzten Endes war sie es, die den neuen Staat  bis 1922 vor dem offenen Bankrott bewahrte.

Da die hohen Kriegskosten nicht durch Steuererhöhungen und/oder langfristige Kreditaufnahmen in Form von Anleihen gedeckt werden konnten, mussten sie zu einem großen Teil durch die direkte Verschuldung des Staates bei der Notenbank – oder prosaischer ausgedrückt: durch den fortdauernden Druck neuer Banknoten – aufgebracht werden. Die Lösung dieses Problems stellte sich nach dem Zerfall Österreich-Ungarns mit umso größerer Dringlichkeit. Doch wie sollte diese Lösung aussehen?

Da sowohl eine Vermögensabgabe als auch eine Erhöhung der Massensteuern politisch nicht durchsetzbar schienen (bzw. nicht mit letzter Konsequenz angestrebt wurden), blieb nur die Alternative, die staatlichen Schulden auch weiterhin über den Mechanismus der Inflation zu 'tilgen'. Der Berechnung eines englischen Diplomaten zufolge wurden die österreichischen Staatsschulden (Vorkriegsschulden in der Höhe von umgerechnet 173 Millionen £ und Kriegsanleiheschulden von 1.060 Mio. £) mit einem Betrag von 3,8 Mio. £ getilgt. Mit anderen Worten: 99,7 % der Staatsschulden wurden durch die Geldentwertung 'zurückgezahlt' – eine ungeplante Umverteilungsmaßnahme zugunsten des Staates bzw. der Steuerzahler auf Kosten jener Personen und Institutionen, die dem Staat ihre Ersparnisse zur Verfügung gestellt hatten, und ein Ersatz für die ineffizient umgesetzte Vermögensabgabe. Nur traf die Maßnahme nicht mehr die Kriegsgewinnler, sondern den Mittelstand, also jene, die dem Staat in 'patriotischer' Gesinnung Kredit gegeben hatten. 

Die Banken, die einen großen Teil der Vermögensabgabe gezeichnet hatten, tauschten am Ende des Krieges einen großen Teil der Anleihen bei der Notenbank in Lombard, d.h. in bare Münze um. Neue Anleihen, welche die Republik dringend benötigt hätte, zeichneten sie nicht.

Es kam, wenn man so will, zu einer 'Sozialisierung' der Kosten des verlorenen Krieges auf dem Umweg über die Inflation, bei der die Besitzer von Zentralbankgeld zur Kasse gebeten wurden. Diese Zwangssteuer war die einzige Art von Besteuerung, die der wirtschaftlich und politisch geschwächte Staat in der unmittelbaren Nachkriegszeit durchsetzen konnte. Dies gelang umso mehr, als es lange dauerte, ehe die Bevölkerung den Mechanismus der Geldentwertung zu durchschauen begann. Erst im letzten Stadium der Inflation setzte die Flucht aus der Krone auf breiter Basis ein.

Der Staat war in den ersten Nachkriegsjahren nicht einmal in der Lage, für die laufenden Ausgaben und die dringendsten Investitionen vorzusorgen. Für viele lag die einzige Option im 'Anschluss' Österreichs an Deutschland. Schon in der ersten Sitzung der deutsch-österreichischen Abgeordneten des ehemaligen Parlaments äußerte der Wortführer der Sozialdemokraten, Victor Adler, Zweifel an der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit des neuen Staates.

Bibliografie 

Bunzl, Julius (Hrsg.): Geldentwertung und Stabilisierung in ihren Einflüssen auf die soziale Entwicklung in Österreich (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 169), München 1925

Konrad, Helmut/Maderthaner, Wolfgang (Hrsg.): … der Rest ist Österreich. Das Werden der Ersten Republik, Band II, Wien 2008

Philpotts, O.S.: Report on the Industrial and Commercial Situation in Austria, London 1921

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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