In Anbetracht der Versorgungskrise gewann die Ernährung an politischer Bedeutung. Frauen, denen mehrheitlich die Versorgung ihrer Familien oblag, wurden zu Protagonistinnen einer moralisch hochstilisierten Daseinsversorgung. Sie sollten durch Sparsamkeit und Einfallsreichtum den Feind in der Küche besiegen.


 

Unter dem Eindruck der Kriegswirtschaft wurde die Versorgung zum symbolischen Kampfplatz. Anglizismen und Begriffe französischen Ursprungs verschwanden von den Speisekarten und Frauen wurden dazu aufgerufen, ihrer Kriegsbegeisterung auch als Konsumentinnen gerecht zu werden und ausländische Waren zu boykottieren.

Als 1914 die Blockadepolitik gegen die Mittelmächte einsetzte, wurde die Bedrohung des „Hungerkrieges“ zum wirksamen Mobilisierungsargument. Zielscheibe waren in erster Linie Frauen, denen mehrheitlich die Sicherung des alltäglichen Überlebens ihrer Familien oblag. Die Mobilisierungsrhetorik verband das „Geschick der sparsamen Hausfrau“ mit dem Schicksal des Volkes: Von ihrem Zutun, ihrer hauswirtschaftlichen Kreativität, vor allem aber ihrer Opferbereitschaft sei das Funktionieren der Kriegswirtschaft abhängig. Deutlich wird diese Sinnstiftung im Einleitungstext des 1916 in Wien aufgelegten „Kochbüchleins für knappe Zeiten“. So schreibt die Autorin Ida Schuppli beispielgebend:

„Der Krieg mit seinen Begleiterscheinungen hat die Führung des Haushaltes überall in weitgehender Weise beeinflusst. Unsere Ernährung ist von Tag zu Tag schwieriger geworden. Sie hat uns Hausfrauen vor Aufgaben gestellt, die nicht allein für unsere Familien, sondern für unser ganzes Volk von einschneidender Bedeutung sind. […] Trotz des Mangels an Lebensmitteln müssen wir sie [Ernährung, Anm.] so gestaltet suchen, daß unsere Volkskraft in diesen schweren Zeiten möglichst wenig leidet. Gelingt es uns, diese hohe Aufgabe zu erfüllen, so werden wir nicht nur den Aushungerungsplan unserer Feinde zuschanden machen, sondern unser Volk und Vaterland vor Unglück bewahren und uns als gute Mütter und Bürgerinnen erweisen.

Gelang es den Frauen, durch umsichtiges Wirtschaften, sparsames Haushalten, mit Geschick und Einfallsreichtum das Auskommen ihrer Familie zu bestreiten, war ihnen die gesellschaftliche Anerkennung sicher. Sparsames Haushalten wurde zur kriegsentscheidenden Pflicht. Handelten Frauen jedoch gegen kriegswirtschaftliche Interessen und trieben sie durch Hamsterkäufe die Preise in die Höhe, hagelte es Vorwürfe.

Die Ideologie der ‚Mitverantwortung‘ transportierte eine unmissverständliche Botschaft: Die Opfer an der Heimatfront wären zweitrangig und nicht mit denen an der Front zu vergleichen. Durchzuhalten und den Mangel auszugleichen sei das Mindeste, was von der Bevölkerung zu verlangen sei.

Verbreitet wurde diese Botschaft von Propagandamaterialien genauso wie durch patriotische Frauenvereine: Wandervorträge, Ausstellungen und Kochkurse vermittelten Wissen und Kenntnisse, um den extremen Mangel auszugleichen. Auf der Rückseite von Straßenbahnfahrscheinen lehrten Kriegsrezepte den sparsamen Umgang mit Surrogaten, Frauenvereine schulten ihre Mitglieder in der Anfertigung von Brennstoff sparenden Kochkisten und bei „Probeessen“ wurden bislang als ungenießbar eingestufte Pflanzen als Ersatzmittel getestet.

Im dritten Kriegsjahr wich die anfängliche Begeisterung endgültig der Ernüchterung. Den staatlichen Autoritäten gelang es nicht mehr, für eine ausreichende Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu sorgen und der Alltag konnte nur noch mit äußersten Entbehrungen bewältigt werden. Die Lebenserhaltungskosten waren um ein Vielfaches gestiegen (bis 1918 betrugen sie das 13fache der Vorkriegszeit) und mit den zugeteilten Rationen konnte kein Auslangen gefunden werden. Unter diesen Bedingungen war die Zivilbevölkerung nicht länger bereit, ihr Opfer als zweitrangig anzuerkennen. Sie stellte ihre Entbehrungen auf eine Stufe mit dem Leid der Soldaten.

Bibliografie 

Augeneder, Sigrid: Arbeiterinnen im Ersten Weltkrieg. Lebens- und Arbeitsbedingungen proletarischer Frauen in Österreich, Wien 1987

Bauer, Ingrid: Frauen im Krieg. Patriotismus, Hunger, Protest – weibliche Lebenszusammenhänge zwischen 1914 und 1918, in: Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hrsg.): Die andere Geschichte, Bd. I Eine Salzburger Frauengeschichte von der ersten Mädchenschule (1695) bis zum Frauenwahlrecht (1918), 285-310

Healy, Maureen: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, Cambridge 2004

Healy, Maureen: Vom Ende des Durchhaltens, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 132-139

Zitate:

„Der Krieg mit seinen Begleiterscheinungen...“: Schuppli, Ida/Hinterer, Betty: Kochbüchlein für knappe Zeiten. Mit einer Anleitung zum Einkochen der Früchte ohne und mit wenig Zucker, zum Dörren, Einsäuern und Einwintern von Obst und Gemüse. Ein Anhang zum Grabnerhof-Kochbuch, Wien 1916, Vorwort

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?

  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?