Die Ernährungsnot im Ersten Weltkrieg als gesellschaftliches Schlüsselproblem
An der „Heimatfront“ zählten die Folgen der Versorgungskrise zu den prägendsten Erfahrungen der Kriegsjahre. Obwohl die Regierung bereits 1914 mit Lenkungsmaßnahmen auf diese Versorgungsengpässe reagierte, gelang es ihr nicht, die Ernährungslage dauerhaft in den Griff zu bekommen. Ausschlaggebend dafür waren die Fehleinschätzung des militärischen Kräfteverhältnisses, die darauf basierende Annahme eines kurzen Krieges und ein fatales Missmanagement vonseiten der Behörden.
Nun war die Zivilbevölkerung gefordert, die Unzulänglichkeit des Staates mit individuellen Versorgungsstrategien auszugleichen. Hamsterfahrten aufs Land, nächtelanges Anstellen und ein florierender Schleichhandel wurden zu Kernstücken einer existenzbedrohlichen Mangel- und Notwirtschaft.
In den letzten beiden Kriegsjahren steigerte sich der eklatante Ernährungsnotstand und wurde zum sozialen und politischen Brennpunkt. Die ungenügende Versorgung mit Grundnahrungsmitteln führte zu sozialen Spannungen. Der Regierung wurden Ineffizienz und ungerechte Verteilung vorgeworfen, die Suche nach dem „inneren Feind“ bedrohte den sozialen Zusammenhalt der Zivilbevölkerung. Hunger und Misstrauen gegenüber dem Staat trieben die Menschen auf die Straße. Die Ernährungsfrage setzte eine Dynamik in Gang, an deren Ende der Zusammenbruch des österreichisch-ungarischen Reiches stand.