Staatliche Lösungsansätze zur Behebung der Versorgungskrise

Im Oktober 1914, nur wenige Monate nach Kriegsbeginn, waren Mangel und Verknappung allerorts spürbar. Die Behörden ergriffen  daraufhin  erste staatliche Spar- und Lenkungsmaßnahmen.

„Inzwischen hatte die Regierung bemerkt, daß wenig Mehl vorhanden sei, die Mehlvorräthe wurden aufgenommen und bald mußte man sehen, daß wir bald größtenteils Maisbrot werden essen müssen, es kam zu Störungen in der Brotversorgung der Stadt, ich selbst ging – ich hätte nicht müssen, da ich genügend Brot zu Hause hatte – in 6 verschiedene, große Bäckergeschäfte in der inneren Stadt und konnte nichts Brotähnliches auftreiben nur ein Stückchen […] Brot und in den Vorstädten gab es gestürmte Bäckerläden und Wagen, kurz, es sah recht bedrohlich aus. Das hat sich wieder gegeben, man bekommt Brot, wenn auch zu außergewöhnlichen Preisen. In wenigen Tagen werden auch Brotkarten (mit Mehlkarten combiniert) ausgegeben werden.“

Julie Söllner, Tagebuchaufzeichnung vom 8. März 1915, Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien

Inzwischen hatte die Regierung bemerkt, daß wenig Mehl vorhanden sei

Die Bevölkerung reagierte auf die Verschlechterung der Versorgung mit Hamsterei und Panikkäufen. Sinkendes Angebot und steigende Nachfrage, gefördert durch riesige Lebensmitteleinkäufe des Militärs, führten zu horrenden Preissteigerungen und manche Händler hielten aus Spekulationsgründen ihre Waren zurück.

Um die Situation zu entschärfen und Unruhen zu vermeiden, traf die Regierung im Spätsommer 1914 erste Lenkungsmaßnahmen. Vorschriften wurden erlassen, die das Horten von Nahrungsmitteln untersagten, die Streckung der Mehlvorräte mit billigeren Getreidesorten vorschrieben und Strafbestimmungen gegen Preistreiberei anhoben. Doch die erwünschte Wirkung blieb aus: Die Vorräte gingen rasch zu Ende, die Produkte wurden von Woche zu Woche knapper und empfindlich teurer.

Aus der Bevölkerung waren Forderungen nach Höchstpreisen zu hören, denen die Regierung im November 1914 nachgab. In der Praxis entwickelten sich diese Obergrenzen jedoch zu Mindestpreisen und Händler hielten ihre Produkte weiter zurück oder verkauften sie auf dem Schwarzmarkt zu einem Vielfachen der regulären Preise. Kam es auf dem Nahrungsmittelsektor bis 1918 zu einer regulären Preissteigerung um das Zehnfache, stiegen die Schleichhandels- und Schwarzmarktpreise weit über der 1000-Prozent-Marke. Kostete ein Kilogramm Mehl 1914 noch 44 Heller, stieg der reguläre Preis dafür im Herbst 1918 auf 2,76 Kronen. Auf dem Schwarzmarkt wurde zum selben Zeitpunkt das Kilogramm für 30 Kronen gehandelt. Eine ähnliche Preisprogression zeichnete sich bei tierischen Produkten ab: Hier stieg der reguläre Preis für ein Kilogramm Butter von 3,20 Kronen auf 20,60 Kronen, während der Schleichhandelspreis mittlerweile 120 Kronen betrug. War ein Ei zu Kriegsbeginn um 9 Heller zu erwerben, wurde dasselbe im Herbst 1918 auf dem Schwarzmarkt um 40 Kronen gehandelt.

Um dem Schleichhandel entgegenzuwirken und eine einheitliche Bewirtschaftung mit strategisch wichtigen Gütern zu gewährleisten, errichtete die Regierung sogenannte „Zentralen“. Die Schaffung einer Metallzentrale, Wollzentrale, Futtermittelzentrale, Kriegskaffeezentrale, etc. sollte knappe Güter dem privaten Konsum entziehen und der staatlichen Verteilungskontrolle zur Verfügung stellen.

Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen erneut mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt als erste Zentrale im April das Bezugskartensystem ein. Damit weitete der Staat das Kontrollsystem von der Verteilung zu festgesetzten Preisen auf die Zuteilung definierter Mengen aus. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt.

Nach und nach wurde das Kartensystem auch auf andere Nahrungsmittel ausgedehnt: 1916 erfolgte die Rationierung von Zucker, Milch, Kaffee und Fett, später auch von Kartoffeln, Fleisch und Marmelade. Daneben existierten sogenannte Einkaufsscheine, über die der Erwerb von Produkten wie Käse, Eier und Reis reguliert wurde. Die Lebensmittelkarten wurden nach drei Kategorien ausgegeben und unterschieden zwischen Selbstversorgern (landwirtschaftliche Produzenten), Nichtselbstversorgern (die städtische Bevölkerung) und Schwerarbeitern (in dieser Kategorie wurden IndustriearbeiterInnen, Eisenbahnangestellte und Sicherheitsbeamte zusammengefasst). Die drastische Verschlechterung der Ernährungslage zeigt sich an der Entwicklung der täglichen Kalorienzuteilung: Während zu Beginn der Karteneinführung Schwerarbeiter zumindest über 1.725 und Nichtselbstversorger über 1.300 Kalorien täglich verfügten, sank die zugeteilte Quote zuletzt auf 1.290 beziehungsweise 830 Kalorien pro Tag.

Die Zahl der beschlagnahmten und staatlich erfassten Lebensmittel und Ersatzstoffe wurde permanent erweitert, die Pro-Kopf-Quoten sukzessive gekürzt. Doch die staatliche Lenkung der Bewirtschaftung erwies sich als wenig effizient und bildete den Nährboden für eine Überhand nehmende Schattenwirtschaft: Schleichhandel, Hehlerei, Preistreiberei, Kettenhandel und Hamsterei gehörten zu den häufigsten Wirtschaftsdelikten.

Im November 1916 setzte man große Hoffnung in das neu geschaffene Amt für Volksernährung. Dieses sollte die unterschiedlichen Rationierungsmaßnahmen bündeln und strategisch lenken. Kernaufgabe des Amtes war es, Lebensmittelvorräte zu erfassen, diese unter den KonsumentInnen gerecht aufzuteilen und für angemessene Preise zu sorgen. De facto war es jedoch nur noch damit betraut, den Mangel zu verwalten. Elend und Not war mit staatlichen Lenkungsmaßnahmen nicht mehr beizukommen.

Bibliografie 

Ackerl, Isabella (Hrsg.): Hans Loewenfeld-Russ- Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920, Wien 1986

Broadberry, Stephen/Mark Harrison, The Economics of World War I, Cambridge 2005

Hautmann, Hans: Hunger ist ein schlechter Koch. Die Ernährungslage der österreichischen Arbeiter im Ersten Weltkrieg, in: Botz, Gerhard et al. (Hrsg.): Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte. 10 Jahre Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien/München/Zürich, 1978, 661-682.

Rauchensteiner, Manfried: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2013

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Ereignis

    Maßnahmen der Regierung gegen die akute Versorgungskrise

    Ein direkt dem Kaiser unterstellter Gemeinsamer Ernährungsausschuss soll als eine Art "Superministerium" die Versorgungskrise in Österreich-Ungarn lösen.Die Sicherung der primären Lebensbedürfnisse beherrscht den Alltag des zivilen Hinterlandes.

  • Objekt

    Mangel und Elend

    Als im Jänner 1915 die Bevölkerung auf ausbleibende Brot- und Mehllieferungen mit Panikkäufen reagierte, führte die Kriegs-Getreide-Verkehrsanstalt das Bezugskartensystem ein. Pro-Kopf-Quoten wurden festgesetzt und über Brot- und Mehlkarten verteilt. Doch selbst die zugewiesenen Rationen konnten angesichts der Krise immer seltener ausgegeben werden und die Papierscheine erwiesen sich als wertlos.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Alltag an der (Heimat) Front

    Wie gestaltete sich der Alltag in der Heimat und an den Fronten während der Jahre 1914 bis 1918? Lässt sich der Alltag einer bürgerlichen Frau mit jenem einer Arbeiterin vergleichen? Machte ein Offizier dieselben Fronterfahrungen wie ein Mannschaftssoldat? Oder müssen wir nicht eher davon ausgehen, dass wir es mit einer immensen Fülle an Einzelerlebnissen und -erfahrungen zu tun haben, die den Kriegsalltag der Bevölkerung und der Soldaten an den Fronten prägten?