Artillerie II.: Die Feuerwalze, das Trommel- und Sperrfeuer

Artillerie und Infanterie zählten zu den wichtigsten Waffengattungen des Ersten Weltkriegs. Ihre volle Geltung erlangten sie jedoch erst im Zusammenspiel. In diesem Waffenverband hatte die Artillerie den vorwärts drängenden Infanteristen „Schützenhilfe" zu leisten.

Die Artillerie, so schreibt der Militärhistoriker Christian Ortner, hatte unter den Waffengattungen des Ersten Weltkriegs eine herausragende Stellung: „Keine militärische Aktion, in welcher Größe sie auch immer ablaufen sollte, konnte ohne Mitwirkung der Artillerie realisiert werden.

Mit ihrem gewaltigen Arsenal an verschiedenen Kanonen, Mörsern und Haubitzen war die Artillerie Stellvertreter für die, wie Ernst Jünger schreibt, „absolute Herrschaft des Feuers“Sie war Prototyp des industrialisierten Massenkriegs – und des industrialisierten Massensterbens. Keiner der im Ersten Weltkrieg eingesetzten Waffengattungen fielen mehr Soldaten zum Opfer. Die zerstörerische Kraft der Geschütze – insbesondere in ihrem massierten Einsatz – war enorm. Enorm war aber auch der Verbrauch an Munition. So wurden alleine im Zuge der 10. Isonzoschlacht (von Mitte Mai bis Anfang Juni 1917) aus über 1.000 Geschützen etwa 1,6 Millionen Schuss abgefeuert.

Die Aufgabenbereiche der Artillerie waren vielfältig. Im Bewegungskrieg kam ihr die Aufgabe zu, die nach vorne drängende Infanterie mit ihrer Feuerkraft zu unterstützen. Hier kam es jedoch wiederholt zu Problemen: Da sich die Infanterie im Gelände um vieles schneller fortbewegen konnte als die Artillerie mit ihren schwer zu transportierenden Geschützen, trafen die ersteren auf den Feind, ohne dass die Artillerie Stellung bezogen hatte. Die Truppen standen dann außerhalb des Wirkungskreises des artilleristischen Feuers.

Noch größere Bedeutung hatte die Artillerie im Stellungskrieg. Auch hier musste sie die Operationen der Infanterie unterstützen bzw. vorbereiten. So wurden beispielsweise im sogenannten Sperrfeuer bestimmte Gebiete unter Dauerbeschuss gehalten, um den feindlichen Truppen den Durchmarsch zu erschweren oder deren Versorgungsrouten zu unterbrechen. Bei der Taktik der Feuerwalze galt es, die Infanterie so zu unterstützen, dass die Feuerlinie der Artillerie in einem zuvor akkordierten Takt nach einer bestimmten Zeit um eine gewisse Distanz vorverlegt wurde. Dieser sprunghaft vorrückende ‚Granatenvorhang‘ diente der im geringen Abstand zur Feuerlinie nachrückenden Infanterie als Schutz vor feindlichem Feuer und ermöglichte es, sukzessive in das zu erobernde Gebiet vorzudringen. Das Trommelfeuer hatte hingegen die Aufgabe, das Feindgebiet durch massiven, meist stunden- oder gar tagelangen Dauerbeschuss, sturmreif zu schießen. Neben der materiellen Schädigung des Feindes war das Trommelfeuer auch Mittel zur psychologischen Kriegsführung. Es diente als ‚Zermürbungsmaschine‘, welche die Kampfmoral der Soldaten unterminierte und nach Christian Ortner „[…] letztendlich auch den Durchhaltewillen der besten Truppen [brach].“ Nach Michael Epkenhans zählte das Trommelfeuer vielfach zu den schrecklichsten Erlebnissen der Soldaten und war oftmals Auslöser von Kriegspsychosen. Ein Soldat beschrieb seine Erfahrung in einem Feldpostbrief folgendermaßen: „Der Kanonendonner ist häufig derart lebhaft, daß man keinen einzigen Kanonenschuss hört, sondern nur ein stundenlanges ununterbrochnes Rollen. Geradezu entsetzlich sehen die Menschen aus, wenn sie soeben aus den Schützengräben zur Erholung […] kommen.

Bibliografie 

Epkenhans, Michael: Kriegswaffen - Strategie, Einsatz, Wirkung, in: Spilker, Rolf/Ulrich, Bernd (Hrsg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914-1918, Osnabrück 1998, 69-83

Ortner, M. Christian: Die k. u. k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien 2013

Ortner, M. Christian: Die österreichisch-ungarische Artillerie von 1867 bis 1918. Technik, Organisation, Kampfverfahren, Wien 2007

 

Zitate:

"Keine militärische Aktion...": Ortner, M. Christian: Die österreichisch-ungarische Artillerie von 1867 bis 1918. Technik, Organisation, Kampfverfahren, Wien 2007, 551

"[…] letztendlich auch den Durchhaltewillen...": Ortner, M. Christian: Die k. u. k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien 2013, 155

„Der Kanonendonner ist häufig...": Langhorst, Fr., zitiert nach: Epkenhans, Michael: Kriegswaffen - Strategie, Einsatz, Wirkung, in: Spilker, Rolf/Ulrich, Bernd (Hrsg.): Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914-1918, Osnabrück 1998, 72

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Der industrialisierte Krieg

    Der Erste Weltkrieg war ein Krieg des enormen Materialeinsatzes. Die Armeen mit ihren Massenheeren mussten ausgerüstet und versorgt werden. Die Materialschlachten wären ohne die großindustrielle Herstellung von Waffen und anderen kriegsnotwendigen Produkten unmöglich gewesen. Nur durch die gesamtgesellschaftliche Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen konnte die riesige Kriegsmaschinerie aufrechterhalten werden.

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Gewalterfahrungen

    Während manche der Frontsoldaten das „Stahlbad des Waffenganges“ als Apotheose ihrer eigenen Männlichkeit erfuhren, litt die Mehrheit der Soldaten an ihren körperlichen und/oder psychischen Verletzungen. Die Zerstörungskraft des modernen Maschinenkriegs und die psychischen Belastungen durch das tagelange Ausharren in den Schützengräben, der Lärm des Trommelfeuers und der Anblick schwer verwundeter oder verstümmelter Kameraden produzierte neben physischen „Kriegsversehrten“ auch massenhaft psychische „Kriegsneurotiker“.