„Lorbeer den des Lorbeers würdigen Soldaten“ – das Äußere Burgtor wird zum Heldendenkmal
1660 errichtet, war das Burgtor ursprünglich Teil der Wiener Stadtbefestigung und ein heftig umkämpfter Ort während der zweiten „Türkenbelagerung“ im Jahr 1683. Nachdem das Tor von den Soldaten Napoleons 1809 gesprengt wurde, dauerte es 15 Jahre bis zu seiner Wiedererrichtung durch das Militär. Die Grundsteinlegung fand in Anwesenheit von Kaiser Franz I. 1821 statt. Die Eröffnung wurde auf den 16. Oktober 1824, den elften Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, gelegt. An diesem Tag wurden im gemeinsamen „heldenhaften Kampf“ (Russland, Preußen, Schweden und Österreich) die Truppen Napoleons besiegt.
Das Bauwerk mit seinen fünf Rundbogentoren – das zentrale Tor war meist geschlossen, weil die Durchfahrt dem Kaiser vorbehalten war – und zwei Flügelbauten sollte damit auch einen Kontrapunkt zur „Schmach“ der Niederlage von 1809 setzen und an die einigende und staatsbildende Kraft von militärischen Siegen appellieren.
Während des Ersten Weltkriegs erhielt das Tor die Bedeutung eines Heldendenkmales. 1915 wurde die Initiative „Lorbeer für unsere Helden 1914–1916“ als Hilfsaktion des Kriegsfürsorgeamtes initiiert. Mit Spenden konnte man symbolisch aus einer Legierung hergestellte Lorbeerblätter für die Soldaten an der Front kaufen und widmen lassen. Die Lorbeerkränze – Zeichen des Sieges – wurden am Tor angebracht bzw. an weiteren „weihe- und stimmungsvollen“ Orten aufgestellt. Als Spender sind u.a. der österreichische Kaiser Franz Joseph I. sowie andere Mitglieder des Kaiserhauses, der deutsche Kaiser Wilhelm II., der osmanische Großsultan Mehmed V. und der bulgarische König Ferdinand I. vermerkt.
Heute erinnern vergoldete Lorbeerzweige und die Inschrift „LAURUM MILITIBUS LAURO DIGNIS MDCCCCXVI“ („Lorbeer den des Lorbeers würdigen Soldaten 1916“) an die Spendenaktion. Der Heldenmythos wurde mit der Einrichtung von Gedenkstätten im Inneren des Tors fortgeschrieben. 1933/34 errichtete man im rechten Flügel eine Krypta für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Zwei Ehrenstiegen führen in eine offene Ehrenhalle auf dem Dach, denn, so soll der Architekt Rudolf Wondracek angemerkt haben, „[d]ie Helden des Weltkrieges sind unter freiem Himmel gefallen, sie sollen unter freiem Himmel geehrt werden“.
Der Bildhauer Wilhelm Frass meißelte für den Innenraum der Krypta einen liegenden Soldaten als „Symbol des Urgedankens des Soldaten“. Die Gebärde seiner linken Hand zeige, „dass er sein Herzblut für uns gegeben, die Rechte ruht bei dem Gewehr als Symbol der Waffen, mit denen der Soldat sein Heimatland verteidigt“. 1938 stellte sich heraus, dass Frass illegaler Nationalsozialist war und in der Figur eine Kapsel mit einer Schrift deponiert hatte, auf der er vermerkte: „Im Namen der tausenden Kameraden, die in dem großen Kampfe um unser heiligstes Volkstum gefallen sind, schuf ich diese Figur. In diesem unvergänglichen Stein ist mein Glaube an die ewige Kraft des deutschen Volks gemeiselt [sic], die kein Tod zu enden vermag. Möge der Herrgott nach all dem Furchtbaren, nach aller Demütigung, den unsagbaren traurigen Bruderzwist beenden und unser herrliches Volk einig, im Zeichen des Sonnenrades, dem Höchsten zuführen! Dann, Kameraden, seid Ihr nicht umsonst gefallen! Der Bildhauer Wilhelm Frass“
Die Existenz der Kapsel mit dem Brief wurde allerdings erst 2012 überprüft und bestätigt. Paradoxerweise hatte ein Mitarbeiter von Frass, vermutlich ohne das Wissen seines Vorgesetzten, eine Friedensbotschaft in derselben Kapsel deponiert: „ ... Ich wünsche, daß künftige Generationen unseres unsterblichen Volkes nicht mehr in die Notwendigkeit versetzt werden, Denkmäler für Gefallene aus gewaltsamen Auseinandersetzungen von Nation zu Nation errichten zu müssen.“
Nachdem das Äußere Burgtor (Heldentor) 1934 zur Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs ausgebaut wurde, fügte man nach 1945 die Jahreszahlen 1939–1945 hinzu und widmete Ehrenhalle und Krypta ebenfalls den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs.
In der Krypta waren zehn Ehrenbücher mit den Namen der Gefallenen des Ersten Weltkriegs aufgelegt, dazu kamen ab 1969 Blätter mit den Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Die Seiten der Bücher wurden täglich umgeblättert, um symbolisch an alle hier genannten Toten zu erinnern. 2002 brachte man die Inschrift „In Erfüllung ihres Auftrags ließen sie ihr Leben“ an. Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass sich in diesen Büchern auch Namen von Angehörigen der SS finden, darunter jener des NS-Massenmörders Josef Vallaster, der zuerst in der Euthanasieanstalt Hartheim und dann im Vernichtungslager Sobibór maßgeblich an der Ermordung von 250.000 Menschen beteiligt war.
1965 beschloss die Bundesregierung, als erstes offizielles Denkmal der Republik für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus im linken Flügel des Tores einen Weiheraum für die „Opfer im Kampfe für Österreichs Freiheit“ einzurichten. Die Historikerin Heidemarie Uhl führt dazu aus: „Die räumliche Trennung dieser beiden Denkmäler hat symbolische Qualität: Woran hier erinnert und wessen hier gedacht wird, lässt sich nicht in eine gemeinsame Geschichte und in ein gemeinsames Gedenken integrieren. Vielmehr werden hier die unvereinbaren Widersprüche des österreichischen Gedächtnisses im Umgang mit der NS-Vergangenheit sichtbar: Die beiden Gedenkstätten verweisen auf antagonistische Sichtweisen, die sich bereits kurz nach Kriegsende formiert haben und bis heute bestimmend sind.“
Jährlich begaben sich die Bundesregierung und der Bundespräsident – nicht gemeinsam, sondern hintereinander – am 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, zum Heldendenkmal, um in beiden Gedenkräumen einen Kranz zu deponieren. Die Krypta wurde zudem von Staatsgästen besucht und war Ziel von Soldatenwallfahrten. In ihr wurde an Sonn- und Feiertagen eine Messe gelesen. Alle diese Aktivitäten fanden 2012 ein vorläufiges Ende: Der Verteidigungsminister ließ die Krypta leerräumen und für einige Zeit schließen, um eine Umgestaltung in Auftrag zu geben.
Damit zeigt die Geschichte des Tores und seiner Räume als staatlicher und kirchlicher Gedenk- und Repräsentationsort, wie problematisch und ambivalent sich nach wie vor auch das offizielle Erinnern und Gedenken in Österreich gestaltet.
Diem, Peter: Das Äußere Burgtor – ein österreichisches Heldendenkmal? Unter: http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Burgtor_-_Heldende... (20.06.2014)
Grassegger, Friedrich: Denkmäler des autoritären Ständestaates. Repräsentation staatlicher und nationaler Identität Österreichs 1934–1938, in: Riesenfellner, Stefan (Hrsg.): Steinernes Bewußtsein I. Die öffentliche Repräsentation staatlicher und nationaler Identität Österreichs in seinen Denkmälern, Wien/Köln/Weimar 1998, 495-546
Stachel, Peter: Mythos Heldenplatz, Wien 2002
Uhl, Heidemarie: Heldenplatz – Ballhausplatz. Zur Neukontextualisierung eines zentralen Orts offizieller österreichischer Erinnerungskultur. Unter: http://www.gedenkdienst.at/index.php?id=804 (20.06.2014)
Zitate:
„[d]ie Helden des Weltkrieges ...“, „dass er sein Herzblut ...“, „Ich wünsche, daß künftige Generationen ...“: Unter: http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Burgtor_-_Heldende... (20.06.2014)
„Die räumliche Trennung dieser beiden Denkmäler ...“: Uhl, Heidemarie: Heldenplatz – Ballhausplatz. Zur Neukontextualisierung eines zentralen Orts offizieller österreichischer Erinnerungskultur, unter: http://www.gedenkdienst.at/index.php?id=804 (20.06.2014)
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Kapitel
- Der Erste Weltkrieg als „Erinnerungsort“
- Der Erste Weltkrieg als „Urkatastrophe“ – Narrative I
- Vom „Pulverfass“ zum „Weltenbrand“ – Narrative II
- „Lorbeer den des Lorbeers würdigen Soldaten“ – das Äußere Burgtor wird zum Heldendenkmal
- Der „Siegfriedskopf“ in der Wiener Universität
- Der „einfache“ Soldat wird zum Held
- Erinnerungstourismus: Reisen zu den Kriegsschauplätzen