Erinnerungstourismus: Reisen zu den Kriegsschauplätzen
„Das Hotel-Restaurant (...) bietet Ihnen angenehme Unterkünfte in der Nähe der Schlachtfelder von Verdun. Von hier aus sind die Gedenkstätte ‚Mémorial de Fleury’, die Festungen von Vaux und Douaumont, der Schützengraben ‚Tranchée des Baïonnettes’, das Beinhaus in Douaumont und die unterirdische Zitadelle leicht zu erreichen. Reizvolles Detail: Ruhe und Gelassenheit mitten in der Stadt, Hotel mit allem Komfort.“ (Tourismuswerbung)
Die Besichtigung von Kriegsschauplätzen begann bereits während des Weltkriegs, als Mitglieder von Propagandainstitutionen, Journalisten und Fotografen an die Front reisten, um die dortigen Geschehnisse zu dokumentieren. Inzwischen ist der Gedenktourismus zum Geschäft geworden, das besonders in „runden“ Gedenkjahren Hochkonjunktur hat. So gehören die Schlachtfelder von Verdun zu den am stärksten frequentierten Orten in Lothringen. Ihre BesucherInnen steuern somit einen erheblichen Anteil an der Wirtschaftsleistung der Region bei.
In Frankreich pflegt das 1951 gegründete „Comité National du Souvenir de Verdun“ die Erinnerung an die Schlachten im Ersten Weltkrieg. Große Teile der Schlachtfelder wurden zur „Roten Zone“ erklärt, die als großflächige Gedenkstätte gilt und weder bebaut noch landwirtschaftlich genützt werden darf. Sie ist zu einer Art von Freilichtmuseum mutiert, das jährlich von tausenden BesucherInnen mit unterschiedlichen Motivationen besichtigt wird. Um einen „Gruseltourismus“ einzuschränken, gibt es auf dem Gelände keinerlei Unterkünfte oder Versorgungsstationen. Die Touristenströme bewegen sich auf erschlossenen Weltkriegspfaden durch eine Landschaft, die in gleichermaßen beeindruckender wie erschreckender Weise durch die Folgen des Kriegsgeschehens „vernarbt“ ist. Die Wahrscheinlichkeit, Granatsplitter und scharfe Munition zu finden, ist auch heute noch relativ groß. Das zieht Abenteurer an, die mit Metalldetektoren ausgerüstet, illegal auf Souvenirsuche gehen, um dann die Fundstücke – begehrt seien besonders Ausrüstungsgegenstände von deutschen Soldaten – zu verkaufen.
Der Flandern-Tourismus bietet zur Besichtigung der Schlachtfelder Zusatzprogramme wie einen täglichen Zapfenstreich in Ypern an. Touren mit dem Bus, spezielle Wander- und Radrouten und sogar Flüge über die Schlachtfelder stehen dort auf der Angebotspalette.
Traditioneller gestaltete sich das Gedenken der Dolomitenfreunde: Da wurde in Kötschach-Mauthen (Kärnten) ein „Einmarsch der verschiedenen Traditionsverbände, begleitet von der Musik der Kärntner Gebirgsschützenkapelle. Nach dem Defilieren vor den Ehrengästen, dem Abschreiten der Front und Grußworten der politisch und militärisch Höchstanwesenden hielt Karl Habsburg-Lothringen die Festrede.“ angeboten. Zudem standen „Kostproben aus der Feldküche vom Geb.Art.Rgt. Kaiser Nr. 14“ auf der touristischen Speisekarte.
Der Tourismusverband „Julisch-Venetien“ lockt mit folgenden Weltkriegsofferten: „Auf den angebotenen Routen können Sie, oft inmitten von atemberaubenden Naturlandschaften, bewegende Spaziergänge machen, die Sie in das Leben in den Schützengräben hineinversetzen.“ (Hervorhebungen im Original)
Auch wenn in Sarajevo die Spuren des Bosnienkrieges und vor allen der Belagerung durch die jugoslawische Volksarmee von 1992 bis 1996 noch allgegenwärtig sind, dominieren dort im Erinnerungsjahr 2014 zwei Personen das touristische Geschäft: Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie. Sie sind, ähnlich wie Franz Joseph und Sisi in Wien, zu Aushängeschildern der Stadt geworden. Das Attentat von 1914 dient als Hintergrundkulisse einer Sightseeing-Industrie, die das Thronfolgerpaar in den Mittelpunkt ihrer „Attraktionen“ gestellt hat.
Brandt, Susanne: Vom Kriegsschauplatz zum Gedächtnisraum. Die Westfront 1914–1940, Baden-Baden 2000
Heymel, Charlotte: Touristen an der Front: Das Kriegserlebnis 1914–1918 als Reiseerfahrung in zeitgenössischen Reiseberichten, Münster 2007
Petermann, Sandra: Rituale machen Räume: zum kollektiven Gedenken der Schlacht von Verdun und der Landung in der Normandie, Bielfeld 2007
Verdun, paradis des pilleurs des champs de bataille de 14-18, in: L’Express vom 6.4.2014. Unter: http://www.lexpress.fr/actualites/1/societe/verdun-paradis-des-pilleurs-des-champs-de-bataille-de-14-18_1506508.html (16.6.2014)
Weltkriegs-Tourismus in Frankreich: Schwarze Kreuze für die Deutschen, in Der Spiegel vom 13.3.2014. Unter: http://www.spiegel.de/reise/europa/erster-weltkrieg-in-frankreich-tourismus-an-graebern-a-958446.html (16.6.2014)
Zitate:
„Das Hotel-Restaurant (...) bietet Ihnen ...": http://www.tourisme-meuse.com/de/0/6/1/SEJLOR0550002P/sit/detail/Verdun-... (21.06.2014)
„Einmarsch der verschiedenen Traditionsverbände ...“: http://www.dolomitenfreunde.at (16.6.2014)
„Auf den angebotenen Routen ...“: http://www.turismofvg.it/Erste-Weltkrieg (17.6.2014)
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Kapitel
- Der Erste Weltkrieg als „Erinnerungsort“
- Der Erste Weltkrieg als „Urkatastrophe“ – Narrative I
- Vom „Pulverfass“ zum „Weltenbrand“ – Narrative II
- „Lorbeer den des Lorbeers würdigen Soldaten“ – das Äußere Burgtor wird zum Heldendenkmal
- Der „Siegfriedskopf“ in der Wiener Universität
- Der „einfache“ Soldat wird zum Held
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