Vom „Pulverfass“ zum „Weltenbrand“ – Narrative II

„Der Betrachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass im publizistischen Kampf um Auflage und Gehör diejenige Deutung begünstigt wird, welche die jeweils pointierteste und prägnanteste Epochenetikettierung hervorzaubert.“

 

In Abhandlungen und in der Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg tauchen immer wieder dieselben Begrifflichkeiten und Etikettierungen auf. Viele von ihnen sind eine Übernahme aus der Kriegszeit selbst oder aus den Jahren nach dem Krieg. Sie repräsentieren – großteils unreflektiert – eine Sicht, die dem heutigen Forschungsstand nicht mehr gerecht wird. Gleichzeitig schreiben sie Narrative fort, die aus gegenwärtiger Perspektive problematisch erscheinen.

Der Begriff „Erster Weltkrieg“ – es waren 36 Staaten daran beteiligt – ist schon in Publikationen ab 1914 zu finden. Populär wurde er allerdings erst durch den britischen Offizier und Journalisten Charles à Court Repington, der 1920 den Bestseller The First World War publizierte. In Frankreich und England wird heute noch überwiegend vom „Großen Krieg“ („La Grande Guerre“, „The Great War“) gesprochen. Warum sich gerade hierzulande der „Erste Weltkrieg“ als gängige Bezeichnung durchgesetzt hat, ist zumindest aus historischer Sicht nicht schlüssig erklärbar. Schon der Siebenjährige Krieg (1756-1763) und die Koalitionskriege (1792–1815) wurden nicht nur in Europa ausgetragen.

Den globalen Aspekt betont auch der Begriff „Weltenbrand“. Er bezieht sich auf die nordisch-germanische Mythologie (Edda), in dem der Flammenriese Surt sein flammendes Schwert schleudert und damit alles Leben vernichtet. Mit diesem Motiv als Symbol des Endes der bisherigen Weltordnung lässt auch Richard Wagner seinen Zyklus Ring des Nibelungen enden. „Weltenbrand“ ist ebenfalls der Titel einer (heftig kritisierten) mehrteiligen Dokumentation des deutschen Fernsehhistorikers Guido Knopp zum Ersten und Zweiten Weltkrieg; denselben Titel wählte der ORF 2014 für seine dreiteilige Dokumentation im Rahmen des Programmschwerpunkts zum Ersten Weltkrieg.

Ein „Weltenbrand“ kann durch eine „Zündschnur“ zum „Pulverfass“ entflammt werden, um einen weiteren, häufig verwendeten Begriff im Zusammenhang mit der Entstehung des Kriegs zu nennen. Auch das Motiv des „Pulverfasses“ ist schon seit langer Zeit gebräuchlich. Der deutsche Schriftsteller Wilhelm Doms schrieb dazu bereits 1919 in einer Reflexion: „Immer wieder bin ich der höchst werkwürdigen [sic!] Auffassung begegnet, und journalistische Kinderei hat sie täglich breitgetreten, daß dieser Krieg das Werk Einzelner sei. Als ob eine Katastrophe so allgemeiner Art durch den Willen einzelner, noch so mächtiger Personen heraufbeschworen werden konnte. Gewiß, wer den Funken in das Pulverfaß wirft, wird die unmittelbare Veranlassung der Explosion. Aber das Wesentliche ist doch, daß das Pulverfaß dasteht.

Bibliografie 

Jahraus, Oliver/Kirchmeier, Christian: Der Erste Weltkrieg als „Katastrophe“. Herkunft, Bedeutungen und Funktionen einer problematischen Metapher, in: Werber, Niels/Koch, Lars/Kaufmann, Stefan (Hrsg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart 2014. Unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18875 (07.06.2014)

Neitzel, Sönke: Der Globale Krieg, 2014. Unter: http://www.bpb.de/izpb/183862/der-globale-krieg?p=all (07.06.2014)

 

Zitate:

„Der Betrachter kann sich des Eindrucks ...": Reimann, Aribert: Der Erste Weltkrieg – Urkatastrophe oder Katalysator? In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 29/30, 2004. Unter: http://www.bpb.de/apuz/28201/der-erste-weltkrieg-urkatastrophe-oder-kata... (7.6.2014)

„Immer wieder bin ich...“: Doms, Wilhelm: Raum für alle hat die Erde!, München 1919, 16, zitiert nach: Jahraus, Oliver/Kirchmeier, Christian: Der Erste Weltkrieg als „Katastrophe“. Herkunft, Bedeutungen und Funktionen einer problematischen Metapher. Unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18875 (07.06.2014)

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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