Der „Siegfriedskopf“ in der Wiener Universität
Der vom Bildhauer Josef Müllner im Auftrag der „Deutschen Studentenschaft“ geschaffene „Siegfriedskopf“ wurde im November 1923 zu Ehren von gefallenen Angehörigen der Universität im Ersten Weltkrieg in der Aula der Wiener Universität aufgestellt. Das Objekt ist seit Jahrzehnten umstritten, da durch Müllner und seine Auftraggeber eine antisemitische, deutschnationale und antiliberale Gesinnung in Verbindung zu bringen ist.
Der Marmorsockel des Denkmals trägt die Inschrift „Ehre, Freiheit, Vaterland/1914-1918/Den in Ehren gefallenen Helden unserer Universität/Errichtet von der Deutschen Studentenschaft und ihren Lehrern.“ Die „Deutsche Studentenschaft“ fungierte ab 1919 als Dachverband aller reichsdeutschen, sudetendeutschen und österreichischen Studenten. Eine Mitgliedschaft war an die deutsche Abstammung und Muttersprache gebunden. Jüdische, weibliche, sozialdemokratische, kommunistische und liberale Studierende waren von der Mitgliedschaft und Vertretung ausgeschlossen.
Der Historiker Friedrich Stadler moniert, dass das Denkmal in seiner Symbolik auf die Siegfried-Mythologie der Nibelungen-Sage verweise und somit auch auf die Dolchstoßlegende des Ersten Weltkriegs. Es sei, so Stadler „Ausdruck eines undemokratischen, ethnozentrischen Geistes, der in die Phase des Austrofaschismus und Nationalsozialismus mündete“. Widerspruch kam naturgemäß von den Burschenschaften, die das Denkmal ausschließlich im Zeichen des Gedenkens an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs sehen wollten.
Bereits Ende der 1980er Jahre beschäftigte sich eine von der Universität beauftragte Kommission mit der Vertreibung von WissenschaftlerInnen während des Nationalsozialismus und im Zuge dessen auch mit dem „Siegfriedskopf“. Die Kommission kam zum Schluss, der Auftraggeber des Denkmals, die „Deutsche Studentenschaft“, verfolgte „einen radikal antisemitischen und deutschnationalen Kurs, und zwar von ihrer Gründung an im Jahr 1919“. Der akademische Senat verfügte daraufhin 1990 die Versetzung des „Siegfriedskopfs“ in den Arkadenhof der Universität und verband sie mit einer künstlerischen Umgestaltung und einer Erklärung, die seine Entstehung in den historischen Kontext setzen sollte. Im Jahr 2006 wurde der „Siegfriedskopf“ schließlich in den Arkadenhof der Universität verlegt. Auf einem vom Bundesdenkmalamt vorgeschriebenen Glassturz sind nun Texte zu lesen, die das Denkmal in einen kritischen Diskurs setzen. Der „Siegfriedskopf“ selbst wurde als Zeichen der Distanzierung von den ursprünglichen Intentionen und Botschaften in seine Bestandteile, Plinthe (Untersatz), Sockel und Kopf zerlegt. Die Universität Wien vermerkt dazu: „Der Siegfriedskopf wurde von seinem Sockel gestürzt, und mit Schrift ummantelt. Das so entstandene Kunstwerk ist als Metapher zu verstehen und soll daran mahnen, dass Extreme (Diktaturen) als erstes die Schrift und das freie Wort unterbinden (Autodafé). In subtiler Weise ‚antwortet’ und ‚verteidigt sich’ unsere Schrift-Skulptur, wenn notwendig, auf mögliche Eingriffe und lässt die Erzählung akkurat und von Mal zu Mal stärker hervortreten. Sie ist zum Zeichen einer so autonomen wie neutralen, nicht aber gleichgültigen Zeit geworden, in der die Geschichte nicht verdrängt und geleugnet wird, die Gegenwart aber als Brücke verstanden werden soll, die in die Zukunft weist.“
Davy, Ulrike/Vašek Thomas: Der „Siegfried-Kopf“. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal in der Universität Wien. Dokumentation, Wien 1991
Kontroverse „Siegfriedskopf“. Unter: http://www.univie.ac.at/universitaet/forum-zeitgeschichte/gedenkkultur/siegfriedskopf/#c1201 (08.06.2014)
Zitate:
alle Zitate: Kontroverse „Siegfriedskopf“, unter: http://www.univie.ac.at/universitaet/forum-zeitgeschichte/gedenkkultur/siegfriedskopf/#c1201 (20.06.2014)
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Kapitel
- Der Erste Weltkrieg als „Erinnerungsort“
- Der Erste Weltkrieg als „Urkatastrophe“ – Narrative I
- Vom „Pulverfass“ zum „Weltenbrand“ – Narrative II
- „Lorbeer den des Lorbeers würdigen Soldaten“ – das Äußere Burgtor wird zum Heldendenkmal
- Der „Siegfriedskopf“ in der Wiener Universität
- Der „einfache“ Soldat wird zum Held
- Erinnerungstourismus: Reisen zu den Kriegsschauplätzen