Erwachen aus der „Geschichtslosigkeit“: Die Nationswerdung der Slowenen

In der Geschichtsforschung des 19. Jahrhunderts, die sich vor allem auf die Geschichte von Staaten konzentrierte, galten die Slowenen, die über keinen Nationalstaat verfügten, als „geschichtsloses“ Volk.

Die slowenische Sprachgruppe litt an einem Mangel an Eliten, da der lokale Adel und das städtische Besitzbürgertum in den slowenischen Siedlungsgebieten deutsch- bzw. italienischsprachig waren. Diese Elitensprachen dominierten lange Zeit in Verwaltung und Literatur, während das Slowenische in den Kleinstädten und Dörfern gesprochen wurde. Eine besondere Rolle als Bewahrer eines slowenischen Sprachbewusstseins fiel daher dem katholischen Klerus zu, da die religiöse Literatur lange Zeit das einzige Schrifttum in der Volkssprache darstellte.

Ein slowenisches Protonationalbewusstsein war vor allem im Herzogtum Krain vorhanden, denn ein Krainer zeichnete sich in der Frühen Neuzeit – trotz der kulturellen Dominanz des Deutschen – durch die Beherrschung der Volkssprache aus, worunter man das Slowenische verstand. Das Landesbewusstsein der krainischen Stände führte früh zu einer Beschäftigung mit der Region: Hier sei auf die Werke des barocken Polyhistors Johann Weichard Valvasor (1641–1693) verwiesen, der eine gründliche Bestandsaufnahme des Landes vornahm.

Die Entstehung der modernen slowenischen Nation startete wie bei den meisten Ethnien Zentraleuropas im frühen 19. Jahrhundert. Eine führende Rolle unter den nationalen Erweckern der Slowenen fiel dabei Batholomäus (Jernej) Kopitar (1780–1844) zu, der als Leiter der Handschriftenabteilung der Wiener Hofbibliothek tätig war. Als hervorragender Philologe schuf er die erste moderne Grammatik des Slowenischen (Grammatik der slawischen Sprache in Krain, Kärnten und Steiermark, 1808), deren Titel bereits Programm war. Kopitar sah sich weniger als Slowene im modernen Sinn, denn als „Slawe“. Er propagierte das Altkirchenslawische, das von den „Slawenaposteln“ Kyrill und Method im Frühmittelalter zur Christianisierung der pannonischen Slawen als Liturgiesprache geschaffen worden war, als genuin slawische Sprache, auf die sich alle Slawen einigen sollten. Kopitar sammelte altslowenische Schriftdenkmäler und glaubte in der archaischen slowenischen Sprache die Bewahrerin altslawischer Formen zu erkennen.

Von den Pionieren der slowenischen Nationswerdung wurde auch ein nationalhistorisches ideologisches Programm geschaffen: Einen wichtigen historischen Referenzpunkt fand man im frühmittelalterlichen Herzogtum Karantanien, das von einer alpenslawischen Bevölkerung dominiert war, und das als vermeintlicher früher „slowenischer Nationalstaat“ mythisch verklärt wurde. 

Einen weiteren Anstoß für die Ausbildung einer nationalen Identität vermittelten die Napoleonischen Kriege. Neben dem generellen Einfluss der Ideen der Französischen Revolution mit ihrer Betonung der Volkssouveränität war vor allem die Schaffung der napoleonischen Illyrischen Provinzen ein Wendepunkt. Erstmals – und wenn auch nur für wenige Jahre – kam es zu einer territorialen Vereinigung der Südslawen. Das langsame Aufkeimen eines südslawischen Bewusstseins führte zur Ideologie des Illyrismus, der das Verschmelzen zu einer größeren südslawischen Nation mit dem Fernziel einer staatlichen Eigenständigkeit anstrebte.

Bibliografie 

Pleterski, Janko: Die Slowenen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 801–838

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Štih, Peter/Simoniti, Vasko/Vodopivec, Peter: Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur, Graz 2008

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

    Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bildete einen mehr oder weniger stabilen Rahmen für die Koexistenz einer Vielzahl nationaler Gemeinschaften.

    Die viel beschworene „Einheit in der Vielfalt“ wurde in der Realität von zahlreichen Ungleichheiten überschattet. Dies zeigte sich vor allem im unterschiedlichen Ausmaß, in dem einzelne Sprachgruppen an der politischen und ökonomischen Macht beteiligt waren.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.