Der Kärntner Abwehrkampf und die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920

Das ehemalige habsburgische Kronland Kärnten war von den Auseinandersetzungen über die künftigen Grenzen des deutschösterreichischen Nachfolgestaates besonders betroffen.


 

Seitens der neu gegründeten Republik Deutschösterreich beanspruchte man in der „Staatserklärung über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutsch-Österreich“ vom 22. November 1918 die Karawankengrenze und mit Ausnahme der Gemeinde Seeland das gesamte Gebiet Kärntens. Obwohl man andernorts mit dem ethnischen Selbstbestimmungsrecht argumentierte – bei drohenden Territorialverlusten von deutschsprachigen Gebieten in Böhmen, Mähren und Schlesien –, berief man sich im Fall Kärntens auf geographische, verkehrstechnische und wirtschaftliche Gesichtspunkte. In den slowenisch- bzw. gemischtsprachigen Bezirken sollte die Bevölkerung einem Verbleib bei Deutschösterreich zustimmen. Doch auch der am 29. Oktober 1918 in Zagreb/Agram proklamierte Staat der Slowenen, Kroaten und Serben, der am 1. Dezember in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) überging, erhob aufgrund der dort beheimateten SlowenInnen einen Anspruch auf die südlichen Landesteile Kärntens und der Steiermark.

Die Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie versuchten ihre territorialen Forderungen auch militärisch abzusichern und die Alliierten bei den bevorstehenden Pariser Friedensverhandlungen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Aus diesem Grund rückten kurz nach dem Waffenstillstand vom 3. November 1918 die ersten südslawischen Truppen nach Kärnten vor und besetzen das Grenzgebiet.

Am 5. Dezember beschloss die Provisorische Landesversammlung Kärntens, militärischen Widerstand zu leisten. Die bewaffneten Auseinandersetzungen bei Grafenstein am 15. Dezember 1918 stellten den Beginn des Kärntner Abwehrkampfes dar, der zwischen 29. April und 7. Mai 1919 seinen Höhepunkt erreichte und mit der Okkupation Klagenfurts durch SHS-Truppen am 6. Juni 1919 endete.

Der von Staatskanzler Karl Renner am 10. September 1919 unterzeichnete Friedensvertrag von Saint-Germain enthielt für Kärnten die Durchführung einer Volksabstimmung in zwei Zonen. Weiters mussten das Kanaltal an Italien, das Mießtal und Unterdrauburg/Dravograd an den SHS-Staat abgegeben werden. Die südliche Zone A sollte bis zur endgültigen Abstimmung von SHS-Einheiten und die Zone B mit dem Klagenfurter Becken von österreichischen Einheiten verwaltet werden. In der letztgenannten Zone war ein Plebiszit nur für den Fall vorgesehen, dass sich die Bevölkerung der südlicher gelegenen Zone A, in der die SlowenInnen eine Mehrheit bildeten, für den Verbleib beim Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen aussprechen würde. Vor dem 10. September 1919 kam es in den Abstimmungsgebieten zu einer immensen Propagandaschlacht. Mit Sprüchen wie: „Was wir gesäet in Kärnten, das wollen wir auch ernten!“ oder „Grün ist das Serbengift!“ wurde die Kärntner Einheit propagiert.

Bei dem am 10. Oktober 1920 in der Zone A abgehaltenen Volksentscheid stimmten 59% für Österreich und 41% für den SHS-Staat. Auch die Mehrheit der in diesem Gebiet beheimateten SlowenInnen votierte – wahrscheinlich eher aus politischen, denn aus nationalen Überlegungen – für einen Verbleib bei Österreich. Es handelte sich, so Helmut Rumpler, um einen „Kompromiss der Minderheit mit der Mehrheit“. Die Grenzstreitigkeiten und Nationalitätenkonflikte schienen zunächst gelöst, doch die bis heute andauernde Ideologisierung des Abwehrkampfes leistete einen wesentlichen Beitrag zur Polarisierung der Volksgruppen und zur Diskriminierung der Kärntner SlowenInnen, die im Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt erreichte.

Bibliografie 

Fräss-Ehrfeld, Claudia: Geschichte Kärntens. Bd. 3/2 – Kärnten 1918-1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche, Klagenfurt am Wörthersee 2000

Fräss-Ehrfeld, Claudia: Kärnten 1918-1920, in: Karner, Stefan/Mikoletzky, Lorenz (Hrsg.): Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament, Innsbruck/Wien/Bozen 2008, 193-202

Goldinger, Walter/Binder, Dieter A.: Geschichte der Republik Österreich 1918-1938, München 1992

Haas, Hanns/Stuhlpfarrer, Karl: Österreich und seine Slowenen, Wien 1977

Haas, Hanns: Die Wiener Regierung und die Frage Kärnten 1918-1920, in: Kärnten. Volksabstimmung 1920. Voraussetzungen – Verlauf – Folgen, Wien/München/Kleinenzersdorf 1981, 29-58

Hanisch, Ernst: Österreichische Geschichte 1890-1990. Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994

Vocelka, Karl: Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik, 3. Auflage, Graz/Wien/Köln 2002

Weimann, Ute: Die südslawische Frage und Jugoslawien. Grenzziehungen im Süden Österreichs unter besonderer Berücksichtigung der Kärntenproblematik, in: Konrad, Helmut/Maderthaner, Wolfgang (Hrsg.): Das Werden der Ersten Republik … der Rest ist Österreich. Bd. I, Wien 2008, 119-138

 

Zitate:

„Grün ist das Serbengift!“: Propagandaplakat, zitiert nach: Fräss-Ehrfeld, Claudia: Geschichte Kärntens. Bd. 3/2 – Kärnten 1918-1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche, Klagenfurt am Wörthersee 2000, 177

„Was wir gesäet in Kärnten …“, Propagandaplakat, zitiert nach: Fräss-Ehrfeld, Claudia: Geschichte Kärntens. Bd. 3/2 – Kärnten 1918-1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche, Klagenfurt am Wörthersee 2000, 179

„Kompromiss der Minderheit ...“: Rumpler, Helmut (Hrsg.): Perspektiven der Forschung und Politik. Kärntens Volksabstimmung 1920, Klagenfurt 1981, 11, zitiert nach: Hanisch, Ernst: Österreichische Geschichte 1890-1990. Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 273

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Aspekt

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    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

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