Freund und Feind – Schuld und Unschuld in der Weltkriegspropaganda

Im internationalen Vergleich wiesen die Propagandabotschaften wenige nationale Besonderheiten auf. Vermittelt wurden vergleichbare Inhalte über Kriegslage und -ziele, Feindbilder und nationale Selbstdarstellung – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

„Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Britt, jeder Klapps ein Japs.“

Propagandapostkarte, Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: FLU_p2003349

Jeder Schuss ein Russ

In England wie in Frankreich, im Deutschen Kaiserreich und in der Habsburgermonarchie radikalisierte die Propaganda die Sinngebung und Legitimation des Krieges. Die hetzerischen Botschaften brutalisierten kollektiven Vorstellungswelten, Feindbilder verfestigten sich und ließen eine Kompromisslösung zwischen den verfeindeten Staaten undenkbar erscheinen.

Alle kriegsführenden Staaten wiesen dem Gegner die Kriegsschuld zu, stilisierten ihn zum Angreifer und sich selbst zum Verteidiger, der um Gerechtigkeit kämpft. Durch diese Viktimisierung konnte die eigene Kriegsführung als legitimer Kampf um den Frieden dargestellt werden, während die gegnerischen Aktionen als völkerrechtswidrig angeklagt wurden. Durch diese gegenseitige Schuldzuschreibung standen bereits wenige Wochen nach Kriegsausbruch die Stereotypen der Verfeindungen fest und Kernvorwürfe wurden in immer gleichen Botschaften vermittelt.

Zu diesen Zuschreibungen gehörte von alliierter Seite die Herabsetzung der Mittelmächte als „Hunnen“ und „Barbaren“, die Alliierten würden einen „Kreuzzug gegen das Böse“ führen, ein Argument, das sich durch die Gräuelpropaganda gegen Deutschland zog. Dem Hauptfeind Deutschland bzw. seinen Soldaten wurden stellvertretend für die Mittelmächte Sadismus, Brutalität und sexuelle Gewalt vorgeworfen. Unterstützung bekam die antideutsche Propaganda von amerikanischen Sozialwissenschaftlerrn, welche meinten, dass in Deutschland der technische und industrielle Fortschritt im Kontrast zur politisch-kulturellen Rückständigkeit stehe – ein verheerendes Zusammenspiel, das sich in der Brutalisierung der deutschen Kriegsführung zeige.

Die Habsburgermonarchie hingegen setzte Gräuelpropaganda gegen Russland ein und berichtete unablässig von Vergewaltigungen, Gewaltexzessen und Massakern an der Zivilbevölkerung. In der Selbstdarstellung Österreich-Ungarns wiederum wurde die Kunst als Vermittlerin einer besonderen Kultur eingesetzt, welche die Überlegenheit demonstrieren sollte.

Dass sich die Grundzüge der jeweiligen Kampagnen so rasch manifestieren konnten, hing mit den vorangegangenen Rivalitäten zwischen den Großmächten zusammen. Die Propaganda baute auf vorhandene Feindbilder auf und stieß dabei in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Zugleich eignete sich die Propaganda als Medium nationaler Selbstartikulation. Deren Ziel war, das eigene Selbstwertgefühl durch die Abgrenzung und Abwertung des gegnerischen Fremden zu stärken.

Bibliografie 

Mousser, Jaouad: Die Konstruktion des Feindes. Feinde und Feindbilder in zwei Jahrhundertkriegen, Saarbrücken 2007

Jeismann, Michael: Propaganda, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irene (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn/München/Wien/Zürich 2009, 198-209

Johler, Reinhard: Zwischen Krieg und Frieden. Die Konstruktion des Feindes. Eine deutsch-französische Tagung, Tübingen 2009

 

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Objekt

    Überwachung & Kontrolle

    Der Alltag in der Habsburgermonarchie war von Propaganda, Überwachung und Kontrolle gekennzeichnet. Die vielen „weißen“ Flecken in den Tageszeitungen zeugen davon ebenso wie Eingriffe in private Briefe und Telegramme. Gleichzeitig wurde durch Bild, Text und Ton versucht, ein einheitliches und kriegsbejahendes Stimmungsbild zu verbreiten. Ausgeschlossen davon waren nicht einmal die jüngsten Bewohner des Reiches; auch die Schulen der Monarchie wurden zu Orten der staatlichen Einflussnahme.