Fotografie als Waffe: Aufklärung, Vermessung, Dokumentation
Technische Errungenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlaubten, die Luftfotografie als strategisches Mittel der Kriegsführung einzusetzen. Das Flugzeug wurde zum Werkzeug des Sehens, die Kamera zur Waffe. Die Luftaufklärung schuf neue Räume für die Kriegsführung und erlaubte eine bislang unerreichte Ausleuchtung der Kriegsschauplätze.
Erstmals wurde die Luftfotografie im Ersten Weltkrieg als Informationsquelle militärisch intensiv genutzt. Bereits in den Jahrzehnten zuvor gab es Versuche, Aufnahmen aus großer Höhe auf Papier zu bannen, um weitläufige Flächen strategisch zu überblicken. Zeichner wurden in Fesselballons losgeschickt, Kameras an Ballons geheftet und sogar Tauben mit Aufnahmeapparaten ausgestattet. Doch erst wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, am 23. Oktober 1911, startete in Italien das erste Aufklärungsflugzeug, bestückt mit Fotoapparaten und Messgeräten, um im Krieg gegen das Osmanische Reich die Straße von Tripolis nach Azizia aus der Luft zu erkunden.
Im Ersten Weltkrieg wurde die Fotografie dann systematisch eingesetzt. Wesentliche Entwicklungsschritte der vorangegangenen Jahre, wie kürzere Verschlusszeiten, lichtstarke Objektive und verfeinerte fotografische Reproduktionstechniken, erlaubten das Festhalten detailreicher Informationen aus weiter Ferne. Durch die Kombination von Luftfahrt und Fotografie wurde der Raum des Sichtbaren erweitert. Gegnerische Truppen konnte durch die moderne Bildaufnahme ausgeleuchtet werden, Fotos von Waffensystemen wurden für die Ausbildung der Soldaten eingesetzt und Bodenaufnahmen unterstützten die Artillerie. Erstellt wurden Aufklärungs- und Vermessungsbilder von Spezialisten, die vom k. u. k. Militärgeographischen Institut übernommen wurden.
Als nachrichtendienstliche Quelle mussten die Luftaufnahmen allerdings erst interpretiert werden – zu abstrakt und unscharf waren die gelieferten Bilder. Durch Zuhilfenahme indexikalischer Zeichen wurden Codes entwickelt, um eindeutiges Wissen aus den Bildern herauszulesen. So wurden die Informationen auf einige wenige topografische Charakteristika reduziert: Ein Dreieck stand für ein Depot, ein Kreis mit Punkt symbolisierte eine Mörserstellung. Dadurch gelang es dem Armeeoberkommando, den Verzerrungen des Mediums beizukommen und die Abbildungen zu ganzen Frontverläufen zusammenzusetzen. Die dadurch gewonnenen Karten wurden in der gesamten Befehlshierarchie verteilt.
Der Wert der Luftbilder lag vor allem darin, über große Entfernungen hinweg Informationen über militärische Maßnahmen zu beziehen. Notwendig wurde dies, weil sich das kriegerische Geschehen durch Luft- und Grabenkrieg, neue Waffentechnik und veränderte Kriegsführung der Augenhöhe entzogen hatte. Durch den Einsatz der Luftfotografie geriet der Krieg wieder in den Blick.
Holzer, Anton: Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Darmstadt 2007
Holzer, Anton (Hrsg.), Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003
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Kapitel
- Public Relations im Ersten Weltkrieg: Die staatliche Organisation der Kriegsberichterstattung
- Die Lichtbild- und Photostelle des KPQs
- „Embedded Photography“: Kriegsfotografen als Teil der militärischen Logistik
- Fotografie als Waffe: Aufklärung, Vermessung, Dokumentation
- Wer fotografiert den Krieg? Knipser, Amateure, Fronttouristen
- Der Bilderkanon des Ersten Weltkrieges im Spiegel der illustrierten Presse
- Der Fotograf als Dokumentarist: Der Blick der Amateure
- Weltkriegsfotografie zwischen traditioneller Bildkonvention und Moderne