Vom Neoabsolutismus zum Ausgleich

Nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution setzte die österreichische Staatsmacht auf brutale Vergeltungsmaßnahmen: Im Blutgericht von Arad wurden Offiziere, Beamte und andere Vertreter der ungarischen Revolution vor ein Militärgericht gestellt.

4.628 Fälle wurden verhandelt, 13 Generäle sowie weitere 114 Personen wurden hingerichtet. Tausende wurden zu Kerkerstrafen und zum Verlust ihres Vermögens verurteilt. Noch rechtzeitig geflüchtete Persönlichkeiten wie der ungarische Revolutionsführer Lájos Kossuth wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Langfristig gesehen wurde der blutige Triumph der Kaisermacht zu einem Bumerang, denn das Blutgericht wurde von magyarischer Seite nun zu einer nationalen Tragödie stilisiert und galt seitdem in Ungarn als Referenzpunkt für anti-habsburgische Tendenzen.

Eine politische Folge der habsburgischen Restauration war die Aufhebung der historischen Verfassung, die ein Symbol des ungarischen Staatswesens dargestellt hatte. Die nach den Richtlinien der Wiener Zentralregierung neu eingeführte Administration mit landfremden Beamten mit deutscher Verwaltungssprache wurde als Fremdherrschaft rundweg abgelehnt. Die Neueinteilung des Landes, die u. a. die Aufhebung der Komitate mit sich brachte, hatte die Zerschlagung des ungarischen Staates zum Ziel: Kroatien-Slawonien und Siebenbürgen wurden selbstständige Kronländer, und die serbische Vojvodschaft und das Banat bekamen Sonderrechte. Diese Maßnahmen stießen selbst die pro-habsburgisch eingestellten Teile der ungarischen Gesellschaft vor den Kopf. Die ungarische Öffentlichkeit verharrte in passivem Widerstand.

Als auf Basis des Februarpatents von 1861 schließlich ein gesamtstaatlicher Reichsrat einberufen wurde – ein Zugeständnis des schwächelnden neoabsolutistischen Regimes Kaiser Franz Josephs, das als Grundlage für einen zahnlosen Parlamentarismus gedacht war und scheiterte –, wurde dieser von den Magyaren boykottiert und nicht beschickt. Dagegen entwickelte sich der neu eröffnete ungarische Landtag nun zur Plattform der Unmutsäußerungen.

Alle Vertreter der magyarischen Eliten waren sich in der Ablehnung der zentralstaatlichen Ausrichtung der kaiserlichen Politik einig. Während die Hardliner unter den Magyaren sich in Fundamentalopposition übten, begannen die gemäßigten Vertreter, an deren Spitze Ferenc Deák (1803–1876) stand, Verhandlungen mit der Wiener Regierung. Dies führte zu einer Normalisierung der Beziehungen und schließlich zum Ausgleich. Der letzte Anstoß war die Niederlage von Königgrätz 1866, durch die Österreich seine Rolle im Einigungsprozess Deutschlands endgültig eingebüßt hatte: Um die Zukunft der Monarchie auf eine tragfähige Basis zu stellen, musste Franz Joseph den größten internen Krisenherd, die fortdauernde Ablehnung des österreichischen Gesamtstaates durch die Ungarn, entschärfen.

Franz Joseph konnte die Forderungen der Ungarn schon allein deswegen nicht weiter ignorieren, weil das ungarische Königreich eine besondere Rolle in der Habsburgermonarchie spielte. Ungarn bildete den mit Abstand größten historischen Teilstaat der Monarchie, ohne dessen enorme Ressourcen das Reich der Habsburger seinen Großmachtstatus nicht hätte behaupten können.

Den Realisten unter den politischen Führern der Magyaren war wiederum bewusst, dass die Magyaren ihre privilegierte Stellung in Ungarn und sogar die Existenz ihres glühend verehrten Königreiches nur im Rahmen der Habsburgermonarchie erhalten konnten. Angesichts der nationalen Emanzipationsbestrebungen der ethischen Minderheiten im Land und der Entwicklung am Balkan sowie der russischen Expansionspläne in der Region hätte ein magyarischer Nationalstaat auf sich allein gestellt geringe Chancen auf Fortbestand gehabt.

Die stabile politische Situation, die nach dem Abschluss des Ausgleichs in Ungarn – dank des autoritären Stils der ungarischen Regierungen – herrschte, ließ bei Franz Joseph, der seine Herrschaft hier stärker gefestigt sah als im von nationalen Verteilungskämpfen zerrütteten Cisleithanien, das Vertrauen in die Ungarn wachsen. 

Bibliografie 

Hanák, Péter: Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Essen 1988

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984

Markus, Adam: Die Geschichte des ungarischen Nationalismus, Frankfurt/Main u. a. 2013

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Stourzh, Gerald: Die dualistische Reichsstruktur, Österreichbegriff und Österreichbewusstsein 1867–1918, in: Stourzh, Gerald: Der Umfang österreichischer Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010 (=Studien zu Politik und Verwaltung 99), Wien u. a. 2011, 105–124

Tóth, István György (Hrsg.): Geschichte Ungarns, Budapest 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

    Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bildete einen mehr oder weniger stabilen Rahmen für die Koexistenz einer Vielzahl nationaler Gemeinschaften.

    Die viel beschworene „Einheit in der Vielfalt“ wurde in der Realität von zahlreichen Ungleichheiten überschattet. Dies zeigte sich vor allem im unterschiedlichen Ausmaß, in dem einzelne Sprachgruppen an der politischen und ökonomischen Macht beteiligt waren.

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.