Der verlängerte Arm der Staatsmacht: Die Bürokratie

Der Beamtenapparat war eine der wichtigsten Klammern für den Zusammenhalt der vielgestaltigen Habsburgermonarchie. Ebenso vielfältig wie das Staatsganze war die Beamtenschaft, die ein streng hierarchisches System mit aberwitzigen Verästelungen der Dienstgrade ausgebildet hatte. Eine aus heutiger Sicht bizarr anmutende Titulatur befriedigte die Titelsucht.

Eine diffizile Kompetenzverteilung regelte die Verwaltung des weitläufigen und heterogenen Staatsgebildes von der Ministerialbürokratie über die Landesregierungen bis hinunter zu den lokalen Behörden. Die Spitzen der Hochbürokratie bildeten eine Kaste für sich. Für die alte Aristokratie galt der Staatsdienst neben der Armee als standesgemäßes Karrierefeld. Daneben existierte ein spezieller Beamtenadel, dessen Mitglieder seit Generationen im Staatsdienst standen. Die Spitzenposten in der für beide Reichshälften zuständigen Zentralbürokratie waren für Absolventen der Kaderschmiede des Theresianums reserviert.

Aber auch der Dienst in den mittleren und unteren Rängen galt als erstrebenswert: Der Beamte wurde im alt-österreichischen Obrigkeitsstaat als Respektsperson wahrgenommen. Ein k. k. Bezirkshauptmann sah sich als würdiger Stellvertreter des im fernen Wien residierenden Kaisers. Und der Dienst als verlängerter Arm der Staatsmacht „adelte“ selbst einen subalternen Beamten, der ansonsten nur ein kleines Rädchen im Verwaltungsapparat war.

Eine Beamtenstelle galt als Privileg und versprach eine Stellung auf Lebenszeit mit gewissen Aufstiegschancen, geregelten Arbeitszeiten und einem geringen, aber sicheren Einkommen. Und am Ende des aktiven Dienstes wartete die Pension.  

Das Ethos des alt-österreichischen Beamtentums war im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus des 18. Jahrhunderts entstanden. Der Josephinismus schuf das Idealbild des unpolitischen und effizienten Beamten, der parteilos und objektiv nach der Gesetzeslage entschied. Die k. u. k. Verwaltung hatte durchaus ihre Stärken, die zum Teil bis heute mythisch verklärt werden. Aber sie hatte auch ihre Schattenseiten, die ebenfalls lange nachwirkten: Der obrigkeitshörige Staatsdiener, der, in Formalitäten und Hierarchien gefangen, ohne Eigenverantwortung Anordnungen exekutierte, konnte allzu leicht zum Rädchen in einer menschenverachtenden Maschinerie werden. Nationale und ideologische Seilschaften durchzogen den Verwaltungsapparat und zerstörten die Illusion der Überparteilichkeit. Und zuweilen musste sich selbst der unbestechlichste und korrekteste Beamte der Einflussnahme von „höherer Stelle“ beugen.

Eine Besonderheit der Habsburgermonarchie war, dass allzu oft nicht die Regierung den Beamtenapparat kontrollierte, sondern umgekehrt. Die Schwäche des Parlamentarismus im alten Österreich, der sich durch die Nationalitätenkonflikte selbst blockiert hatte, führte dazu, dass im „Ministerialabsolutismus“ der Verwaltungsapparat das Reich regierte. Generell standen die häufig wechselnden Regierungen unter dem starken Einfluss der Spitzenbürokratie. Fast die Hälfte aller Minister seit 1867 hatte eine Beamtenkarriere hinter sich, auch von den 26 Ministerpräsidenten waren 17 Berufsbeamte gewesen.

Der Mangel einer starken Bürgergesellschaft machte sich auch im  Staatspatriarchalismus bemerkbar. Der Staat war in den Augen der Bürger für alles verantwortlich und sollte für alle Probleme eine Lösung parat haben. Die immer breiter gefächerten Aufgaben einer modernen Gesellschaft ließen daher das Beamtenheer stetig wachsen. Verfügte die Monarchie im Jahre 1880 über ca. 100.000 Beamte, so stieg die Zahl im Jahre 1910 bereits auf 400.000 Stellen.

Dass die Staatsdiener nicht im „luftleeren Raum“ agierten, zeigte die Tatsache, dass die Beamtenschaft zunehmend von der allgemeinen Nationalisierung ergriffen wurde. Die Bürokratie wurde v.a. in den unteren Ebenen zum Schauplatz von Verteilungskämpfen, denn was den nationalen Background betraf, so waren die Deutschen und Magyaren überrepräsentiert, während die Tschechen in etwa entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil im Staatsapparat vertreten waren. Alle anderen Nationalitäten waren teilweise krass unterrepräsentiert. Um den Anspruch der Unparteilichkeit zu wahren, wurden die Beamten 1895 in einem Erlass dazu angehalten, von privaten Meinungsäußerungen Abstand zu halten und keine agitatorische Tätigkeit zu entfalten. 

Bibliografie 

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Křen, Jan: Dvě století střední Evropy [Zwei Jahrhunderte Mitteleuropas], Praha 2005

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930. Katalog der 93. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 1985, Wien 1985

Wandruszka, Adam (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band II: Verwaltung und Rechtswesen, Wien 1975

Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs – 2. Teil: 1880–1916. Glanz und Elend. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung auf Schloss Grafenegg 1987, Wien 1987

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der starke Staat und der Untertan: Obrigkeitsdenken und Klassengesellschaft

    Die Klassengesellschaft der Habsburgermonarchie war von strengen Hierarchien geprägt. Es herrschten enorme Unterschiede zwischen Arm und Reich. Angehörige verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen sowie Frauen generell standen in existenziellen sozialen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen.