„Gott erhalte!“ – Der Kaiser

Kaiser Franz Joseph war das Symbol für die österreichisch-ungarische Monarchie. Für den Großteil der Bürger des Staates war der alte Kaiser eine sakrosankte Respektsperson. Seit 1848 in Amt und Würden, galt er als „der Kaiser“ schlechthin.

Staatsbürger der Monarchie zu sein hieß auch Untertan des Kaisers zu sein. Trotz aller Reformen war die Monarchie immer noch in erster Linie ein Obrigkeitsstaat, und der Kaiser verkörperte die Staatsmacht: „Im Namen Seiner Majestät“ wurden Urteile gesprochen, Gesetze erlassen, Ämter und Würden vergeben.

Der Kaiser war allgegenwärtig. Seine Porträts schmückten die Amtstuben und Klassenräume in der gesamten Monarchie. Seine Person wurde in der öffentlichen Wahrnehmung überhöht dargestellt, in Festakten als Symbol der staatlichen Einheit beschworen. Es herrschte ein regelrechter Kult um den Kaiser, der, umgeben von Symbolen wie dem Radetzkymarsch, als Übervater der Monarchie präsentiert wurde.

Der Kaisermythos diente durchaus als Kitt des Staatsgebildes. Dank seiner überaus langen Regentschaft – am Vorabend des Krieges 1914 herrschte er bereits 66 Jahre, er sollte es als längst regierender Habsburger der Geschichte auf 68 Jahre bringen – war Franz Joseph tatsächlich eine Konstante in der krisengeschüttelten Doppelmonarchie. Die Staatsidee der österreichisch-ungarischen Monarchie basierte auf der Dynastie Habsburg-Lothringen, und die Inkarnation des dynastischen Gedankens war Franz Joseph. Er personifizierte die Einheit des Vielvölkerreiches und sah sich als Gegengewicht zu den zentrifugalen Kräften, die im Gefolge des eskalierenden Nationalitätenstreits entstanden waren.

Der alte Kaiser war immer noch eine ernstzunehmende politische Kraft: Die Bewahrung der Machtposition war durch die besondere verfassungsrechtliche Position des Monarchen in der Doppelmonarchie sicher gestellt. So lag die Außenpolitik weitgehend in seiner Entscheidungsmacht. Sein Handlungsspielraum wurde in der Realität durch die Schwäche des Parlamentarismus noch vergrößert. Die Regierungen wurden vom Kaiser ernannt und waren in erster Linie ihm verantwortlich. Der alternde Monarch gab sich als von den Niederungen der Tagespolitik erhaben. Franz Joseph führte eine Art Staatskuratel über die stets wechselnden Regierungen.

Persönlich war Franz Joseph einem veralteten aristokratischen Ehrenkodex verpflichtet. Der Kaiser und mit ihm der alt-österreichische Adel waren in den Riten der Vergangenheit gefangen. Der Wiener Hof galt zwar als eleganter und exklusiver gesellschaftlicher Rahmen, aber auch als der elitärste Hof Europas und unfähig zur Öffnung gegenüber modernen Elementen der Gesellschaft.

Während der alte Kaiser als Person über jede Kritik erhaben war, galt dies für die Dynastie nicht unbedingt. Die immer lauter werdende Kritik an der Dekadenz mancher Mitglieder des habsburgischen Familienclans angesichts der zahlreichen Skandale im „allerhöchsten Erzhaus“ nährte das Bild vom Zerfall und der Krise der traditionellen Eliten.

Franz Joseph sah sich selbst als Mensch der Vergangenheit, als ein Fremdkörper in der modernen Welt: Als Bewahrer des Überkommenen verspürte er Angst vor Veränderungen, deren Unvermeidbarkeit er durchaus erkannte – nur solange er lebte, sollte alles beim Alten bleiben. Dem alten Kaiser wurde bereits seit Längerem eine gewisse Amtsmüdigkeit attestiert. Er war prinzipiell bereit für eine Ablöse, nur der persönliche Konflikt mit dem Thronfolger Franz Ferdinand hielt ihn davon ab: „Ich würde gerne abdanken, wenn ich einen Sohn hätte, der mir Vertrauen einflößte, aber zugunsten dieses gefährlichen Narren niemals!“ 

Bibliografie 

Beller, Steven: Franz Joseph. Eine Biographie, Wien 1997

Conte Corti, Egon Caesar/Sokol, Hans: Franz Joseph. Im Abendglanz einer Epoche, Wien 1990

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [Österreichische Geschichte 1890–1990, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Herre, Franz: Kaiser Franz Joseph von Österreich. Sein Leben – seine Zeit, Köln 1978

Leidinger, Hannes/Moritz, Verena/Schippler, Bernd: Schwarzbuch der Habsburger. Die unrühmliche Geschichte eines Herrscherhauses (2. Auflage, ungekürzte Taschenbuchausgabe), Innsbruck [u.a.]  2010

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930. Katalog der 93. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 1985, Wien 1985

Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs – 2. Teil: 1880–1916. Glanz und Elend. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung auf Schloss Grafenegg 1987, Wien 1987

Zitat:

„Ich würde gerne abdanken...“: Kaiser Franz Joseph, zitiert nach: Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005, 559

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

Personen, Objekte & Ereignisse

  • Person

    Franz Joseph

    Franz Joseph war dank seiner langen Regentschaft von 68 Jahren eine prägende Gestalt der Habsburgermonarchie in den letzten Jahrzehnten ihres Bestehens. Er unterzeichnete 1914 die Kriegserklärung an Serbien, die den Ersten Weltkrieg auslöste – ein Krieg, dessen Ende er nicht mehr erleben sollte.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Habsburgermythos – Die Dynastie vor und nach 1918

    Die Dynastie Habsburg-Lothringen bildete das ideologische Fundament der Habsburgermonarchie, denn die Existenz des Vielvölkerstaates ist in erster Linie als Produkt der dynastischen Geschichte des Herrscherhauses zu verstehen.