Wiener Not-(Baracken-)Spitäler
Der große Bedarf an Spitalsbetten zwang zur Errichtung einer ganzen Reihe von Barackenspitälern. Diese Spitäler waren trotz ihres Namens und ihrer Bauweise nach durchaus modernen, funktionellen Prinzipien konzipiert und sollten als „Gesundheitsfabriken“ für immer neuen Nachschub an Frontsoldaten sorgen.
Der Mangel an Spitalsinfrastruktur und die Angst vor der Einschleppung von Kriegsseuchen nötigten bald auch zu einer raschen Erweiterung der Kapazitäten durch Zu-, Um- und Neubauten. Ein besonderer Spitalstyp entstand mit den sogenannten „Baracken-Notspitälern“. Diese wurden seit Herbst 1914 an den Stadträndern von Wien ursprünglich ausschließlich zur Unterbringung und Isolierung von Infektionskranken, vor allem an Ruhr erkrankten Militärs, errichtet. Sie entstanden nach einem Masterplan des in der Industrieproduktion zur Anwendung kommenden Taylorismus, folgten streng funktionellen Kriterien und umfassten 60 und mehr Baracken. Auftraggeber waren einerseits die Gemeinde Wien, andererseits das k. u. k. Kriegsministerium.
Das erste derartige „Kriegsspital“ entstand am Rand des Wilhelminenspitals, das zweite an der Triester Straße südlich des Kaiser-Franz-Josef-Spitals. Weitere Kriegsspitäler wurden in Baumgarten, in Meidling, beim Arsenal, in Simmering bei der heutigen Wohnsiedlung Hasenleiten sowie zwischen Grinzinger Allee und Daringergasse neben der Station Ober-Döbling der Vorortelinie errichtet. Die Baracken wurden großteils bereits in der Zwischenkriegszeit abgerissen.
Allein für die von der Gemeinde Wien beauftragten Bauten wendete man im Jahr 1914 1,2 Millionen Kronen auf. Diese relativ hohen Baukosten erklärten sich aus der Ausstattung der Notspitäler mit entsprechenden Ver- und Entsorgungsanlagen, nicht zuletzt auch Waschanstalten und Entkeimungsanlagen. Wie sich aus zeitgenössischen Plänen erschließen lässt, verfügten sie zudem über umfängliche, modern ausgestattete Tiefbauten.
Das Kriegsspital Nr. III wurde 1914/1915 in Baumgarten bei der heutigen Oberbaumgartner Pfarrkirche errichtet. Wie ein vom prominenten „Fotograf für Architektur, Kunst- und Gewerbe“ Martin Gerlach gestaltetes Fotoalbum dokumentiert, verfügte es über einen Eisenbahnanschluss, Verwaltungsgebäude, gut belüftbare Bettenbaracken, Operationssäle, eine Apotheke, Großküche, Räume für Physiotherapien und eine Kirche.
Die große Bedeutung der Bahnanbindung für die Notspitäler lässt sich anhand der Geschichte des Barackenspitals in Wien 10, Arsenalstraße, exemplarisch nachvollziehen. In einer technischen Beschreibung für den Bau einer zweiten „Schleppgleisanlage“ von der Station Wien-Ostbahnhof zum k. u. k. Arsenal und den dort befindlichen Spitalsbaracken der Gemeinde Wien wurde auf die Feuersicherheit der Anlage – angesichts des nahe gelegenen Arsenals – besonders großer Wert gelegt.
Das größte Notspital war mit rund 4.500 Betten das k. u. k. Kriegsspital Nr. VI, das jedoch erheblich überbelegt war. Auf Basis des einschlägigen Erlasses des Kriegsministeriums zum Bau von Barackennotspitälern vom 16.11.1914 wurde dafür das zur Pfarre St. Laurenz in Simmering–Hasenleiten gehörige Grundstück zwischen Bahndamm, Hasenleitengasse und Wiener-Neustädterkanal beschlagnahmt und zu Beginn des Jahres 1915 mit dem Bau begonnen. Die 50 Holzbaracken wurden zum Teil von am Gelände stationierten bulgarischen Soldaten errichtet. Dank Transformatoren für die Stromversorgung, eigener Gärtnerei, Schweinestall, Werkstätte und Kohlendepot war es ein nahezu geschlossenes Versorgungsgebiet. Angeblich wurden an bestimmten Tagen bis zu 1.000 Patienten neu aufgenommen. Das Notspital verfügte auch über ein angeschlossenes physiotherapeutisches Institut – teilweise mit schwedischem Personal –, was auf die große Bedeutung von äußerlichen Verletzungen bei den Behandlungen verweist, während die ursprünglich auf Bekämpfung von Infektionen (Desinfektionsbaracke) ausgelegte Konzeption in den Hintergrund trat. Auch in anderen Notspitälern standen ähnliche Einrichtungen zur Verfügung.
Biwald, Brigitte: Krieg und Gesundheitswesen, in: Pfoser, Alfred/Weigl, Andreas (Hrsg.): Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 294–301
Goldemund, Heinrich: Kriegs-Notspitäler der Stadt Wien, Wien 1915 (SD aus Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines 1915, Heft 13-16), 1–30
Weinmüller, Renate: 75 Jahre Hasenleiten. Vom k. u. k. Kriegsspital zur Wohnsiedlung, in: Simmeringer Museumsblätter 35 (1990), 240f
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Kapitel
- ‚Moderne‘ Waffentechnik und der Todesreigen in den ersten Kriegsmonaten
- Spitalskapazitäten, Epidemiedienst und der rasche Mangel an medizinischen Fachkräften
- Wiener Not-(Baracken-)Spitäler
- Die Universität und andere Ersatzspitäler
- Das „Künstlerhaus“ und die „Secession“ als „Kriegs-Hilfsspitäler“
- Verwundetentransporte, Verpflegung und Betreuung
- „Gebessert“ entlassen und für den Krieg „aufgepäppelt“