„Wir halten aus“: Funktionen und Anwendungsfelder der Kinder- und Jugendliteratur im Ersten Weltkrieg
Schon Maria Theresia ließ mit der Schulordnung von 1774 wissen, dass „die Erziehung der Jugend beiderlei Geschlechtes (...) die wichtigste Grundlage der wahren Glückseligkeit der Nationen“ sei. Zu den probaten Erziehungsmitteln zählte auch der gezielte pädagogische Einsatz von Kinder- und Jugendliteratur. Die Produktivität in diesem Bereich war in Österreich und Deutschland besonders hoch, wobei Nürnberg und Wien als die wichtigsten Verlagsorte galten, in denen Literatur für Kinder- und Jugendliche herausgegeben wurde. Naheliegend ist, dass auch die Kriegspropaganda vor den Heranwachsenden nicht haltmachte.
Vor und im Ersten Weltkrieg erlebte das Kinderbuch eine deutliche Politisierung. Waren es vorher eher erzieherische Inhalte, die transportiert werden sollten, enthielten die Publikationen in der Kriegszeit klare ideologische Botschaften. Peter Lukasch macht hier vorwiegend folgende Funktionen fest: Darstellungen von Kindern in diversen Publikationen dienten als Sympathieträger, mit deren Hilfe es leichter war, Propagandabotschaften, chauvinistische Zuschreibungen und Feindbilder an Erwachsene zu vermitteln. Auf Kriegspostkarten waren daher immer wieder Kinder beim Kriegsspiel und in Uniformen zu sehen.
Es war nicht die primäre Aufgabe von Kriegsliteratur für (kleinere) Kinder, diese von der Rechtmäßig- und Notwendigkeit des Kriegsgeschehens zu überzeugen. Vielmehr konnten dadurch die vor- und mitlesenden Erwachsenen erreicht werden, und dies mittels einfacher, plakativer Texte und Bilder. Das Genre des Kriegsbilderbuchs war ein Phänomen des Ersten Weltkriegs und kam in dieser Häufigkeit während des Nationalsozialismus nicht mehr zum Einsatz.
Ältere Kinder waren eine direkte Zielgruppe von propagandistischer Literatur. Sie sollten auf einen eventuellen Eintritt ins Militär vorbereitet und überzeugt werden, ihren Beitrag zum Kriegsgeschehen zu leisten – wie dies etwa Else Ury in Nesthäkchen im Weltkrieg detailliert beschreibt. Darstellungen aus dem Kriegsalltag finden sich in vielen Facetten in Kinderromanen, freilich auch immer mit patriotischem Unterton. Des Öfteren begegnet man erstaunlich drastischen und offenen Schilderungen von der Front, wobei diese Erzählungen auch die Funktion hatten, mittels Kinderfiguren stellvertretend die Ängste der Erwachsenen auszuagieren – so die These von Hans-Heino Ewers.
Mit den Jahren änderten sich Ton und Inhalte der Kinder- und Jugendliteratur: Nun stieß man dort auf Durchhalteparolen, Aufrufe zu Opferbereitschaft und Appelle, die Entbehrungen, die der Krieg brachte, auf sich zu nehmen.
Dahrendorf, Malte: Jugendliteratur und Politik. Gesellschaftliche Aspekte der Kinder- und Jugendliteratur, Frankfurt am Main 1986
Ewers, Hans-Heino: Erfahrung schrieb's und reicht's der Jugend: Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert [Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien. Theorie – Geschichte – Didaktik, Band 68], Frankfurt am Main 2010
Lukasch, Peter: Der muss haben ein Gewehr: Krieg, Militarismus und patriotische Erziehung in Kindermedien vom 18. Jhdt. bis in die Gegenwart, Norderstedt 2012
Zitate:
„die Erziehung der Jugend beiderlei Geschlechtes ...": Allgemeine Schulordnung 1774, Vorrede "Beweggründe zur Festsetzung einer allgemeinen Landschulordnung"