Erbfeinde im Kinderbuch
Guten Morgen, Herr Offizier, / Hier sind wir alle vier / Als gute, brave Soldaten / Und wackere Kameraden. (Soldaten-Buch um 1900)
Alors il se tourna vers le tableau, prit un morceau de craie et, en appuyant de toutes ses forces, il écrivit aussi gros qu'il put: „VIVE LA FRANCE!“ (Alphonse Daudet, La dernière classe)
Eine literarische Mobilmachung unter Kindern und Jugendlichen fand in Deutschland und in Frankreich bereits vor dem Ersten Weltkrieg statt. Jedoch unterschied sich die inhaltliche Ausrichtung in den beiden Ländern. Während Preußen sich mit glanzvollen Siegen rühmen konnte, mit jenem gegen Österreich 1866 und vor allem mit jenem gegen Frankreich 1870/71, hatte Frankreich eine Niederlage zu verarbeiten.
Insgesamt wurde dem Soldatentum in der deutschen Jugendliteratur ein hoher Stellenwert eingeräumt. Militärische Erziehung zählte im wilhelminischen Kaiserreich zum festen Bestandteil im Leben des männlichen Nachwuchses, der Eintritt ins kaiserliche Heer galt als erstrebenswertes Ziel.
Friedrich Wilhelm Güll verfasste Der kleine Rekrut, der als Liedtext in Preußen bis 1919 für den Unterricht empfohlen wurde und als Paradethema in Bilder- und Schulbücher Eingang fand:
„Wer will unter die Soldaten
der muß haben ein Gewehr,
das muß er mit Pulver laden
und mit einer Kugel schwer.
Büblein, wirst du ein Rekrut
merk dir dieses Liedlein gut
Pferdchen munter, immer munter
lauf Galopp, hopp, hopp, hopp.“
Die in Deutschland populären Bilderbücher Die Wacht am Rhein (1910) oder Zehn Jahre deutsche Not, Vaterländische Bilderbücher (1912) nahmen Themen aus den Napoleonischen Kriegen auf und zeigen beispielhaft, wohin die Wehrhaftigkeit zu richten war, nämlich gegen Frankreich.
Die französischsprachige Kinder- und Jugendliteratur rüstete ebenfalls verbal auf, wenn auch in geringerem Ausmaß, da zur damaligen Zeit das Genre der Kinder- und Jugendliteratur in Frankreich weniger Bedeutung und Verbreitung erfuhr als etwa im deutschsprachigen Raum, wo die Kinderliteratur als wichtiges Sozialisationsmedium gesehen und vielfach von der Lehrerschaft und auch von Militärangehörigen produziert wurde.
In Frankreich war es den „professionellen“ Schriftstellern überlassen, Bücher für Kinder und Jugendliche zu schreiben. Jedoch richtete sich deren Literatur vielfach an das junge und zugleich an das erwachsene Publikum. Beispiel dafür sind Les Contes du Lundi (Montagserzählungen, 1873) von Alphonse Daudet, die zum fixen Bestandteil von Schulbibliotheken wurden. Daudet, selbst Mobilgardist im deutsch-französischen Krieg von 1870/71, listet die nationalen Tugenden auf, allen voran die Vaterlandsliebe, die französische Sprache und die Fahne, die, in den Herzen der Soldaten getragen, das unbesiegbare Frankreich repräsentiert. Am bekanntesten ist die Erzählung La dernière classe, wo Daudet den Verlust von Elsaß-Lothringen in der Person des alten Dorflehrers beklagt und den gewaltlosen Widerstand der Dorfbevölkerung gegen die preußischen Okkupanten schildert. Weniger gewaltlos zeigt sich der Widerstand in Le Prussien de Bélisaire, wo ein Tischler in seinem Keller einen Preußen erschlägt. Daudets Erzählungen stehen insgesamt für den Widerstand gegen Preußen bzw. später Deutschland, als ein Thema der französischen Literatur, welches das Bild des westlichen Nachbarn bis heute maßgeblich prägt.
Christadler, Marieluise: Kriegserziehung im Jugendbuch. Literarische Mobilmachung in Deutschland und Frankreich vor 1914, Frankfurt am Main 1978
Daudet, Alphonse: Contes du Lundi. Unter: http://www.inlibroveritas.net/lire/oeuvre2311.html (19.06.2014)
Kotzde, Wilhelm (Hrsg.): Die Wacht am Rhein – Soldatenbilderbuch von Angelo Jank. Gedichte ausgewählt von Nikolaus Henningsen, Mainz 1910
Lukasch, Peter: Der muss haben ein Gewehr: Krieg, Militarismus und patriotische Erziehung in Kindermedien vom 18. Jhdt. bis in die Gegenwart, Norderstedt 2012
Zitate:
„Wer will unter die Soldaten ...": Unter: http://www.volksliederarchiv.de/text1395.html (19.6.2014)