Die Rolle des Klerus für das Entstehen des rumänischen Nationalbewusstseins

Aufgrund des Fehlens von sozialen Eliten – der Adel in den rumänischen Siedlungsgebieten der Habsburgermonarchie war magyarisch, das Stadtbürgertum magyarisch und deutsch dominiert sowie mit starken jüdischen, griechischen oder armenischen Elementen durchsetzt – rekrutierten sich die rumänischen Intellektuellen überwiegend aus dem Klerus.

Aus den Reihen der Priesterschaft stammten auch die ersten „nationalen Erwecker“, die sich erstmals mit der Erforschung der Sprache und der Landesgeschichte aus rumänischer Sicht befassten. Als besondere Persönlichkeit erwies sich in dieser Hinsicht der orthodoxe Bischof und spätere Metropolit Andreiu Șaguna (1809–1873). Als Pionier des rumänischen Grundschulwesens – an dessen Aufbau er maßgeblich beteiligt war und womit der weit verbreitete Analphabetismus bekämpft wurde – gilt er auch als Initiator der ersten rumänischsprachigen Gymnasien in Siebenbürgen. Weiters gründete er 1853 die Zeitung Telegraful Român, die sich zum wichtigen Sprachrohr der rumänischen Nationswerdung entwickelte.

In kultureller Hinsicht dominierten bei den Rumänen die Traditionen der östlichen  Kirchen. Die Zugehörigkeit zur Orthodoxie wurde gerade unter den Rumänen der Habsburgermonarchie als Abgrenzungsmerkmal zu den Ungarn immer stärker zum Merkmal des „echten“ Rumänentums erklärt.

Eine besondere Rolle – gerade am Beginn der Nationswerdung – spielte auch die unierte griechisch-katholische Kirche, obwohl ihr nur eine Minderheit der Rumänen angehörte. Da diese Kirche trotz der Beibehaltung des byzantinischen Ritus einen Teil der römisch-katholischen Kirche bildet, kamen ihre Angehörigen früh in Kontakt mit westlichen Ideen. Die rumänisch-unierten Kleriker engagierten sich daher auch für die Entwicklung einer rumänischen Schriftsprache, während der orthodoxe Klerus lang von der griechischen bzw. slawischen Kulturtradition geprägt blieb. Aufgrund des starken Einflusses der slawischen Liturgie, die auch im rumänischen Bereich im Gottesdienst verwendet wurde, bediente sich die rumänische Intelligenz ursprünglich des Altkirchenslawischen als Literatursprache, sodass auch rumänische Texte in kyrillischer Schrift wiedergegeben wurden.

Die Verwendung der lateinischen Schrift wurde erst propagiert, als man sich auf die Abstammung von den antiken Dakern berief und damit die Tatsache der Zugehörigkeit des Rumänischen zur romanischen Sprachfamilie erklärte. Im 18. Jahrhundert entstand im unierten Klerus Siebenbürgens die dako-romanische Kontinuitätstheorie, die als Ausdruck der Suche nach historischen Wurzeln zum bestimmenden Bestandteil des nationalen Geschichtsbildes wurde. In Fortführung dieses Gedankens schrieb man im jungen rumänischen Nationalstaat 1860 das lateinische Alphabet für offizielle Texte vor und brach so bewusst mit den bisherigen östlichen Traditionen.

Bibliografie 

Hanák, Péter: Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Essen 1988

Hitchins, Keith: Die Rumänen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 585–625

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1999

Kahl, Thede: Rumänien. Band 1: Raum und Bevölkerung. Geschichte und Geschichtsbilder (= Österreichische Osthefte 48), Wien 2008

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

    Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bildete einen mehr oder weniger stabilen Rahmen für die Koexistenz einer Vielzahl nationaler Gemeinschaften.

    Die viel beschworene „Einheit in der Vielfalt“ wurde in der Realität von zahlreichen Ungleichheiten überschattet. Dies zeigte sich vor allem im unterschiedlichen Ausmaß, in dem einzelne Sprachgruppen an der politischen und ökonomischen Macht beteiligt waren.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.