Zwischen den Fronten: Die beschränkten Gestaltungsmöglichkeiten der Rumänen im Schatten der Großmachtpolitik

Die irredentistischen Tendenzen der Rumänen der Doppelmonarchie gingen mit der Emanzipation Rumäniens aus osmanischer Oberherrschaft einher. Die wechselhafte Beziehung zwischen Rumänien und Österreich-Ungarn ist ein Schulbeispiel für die Verquickung von Innen- und Außenpolitik angesichts der komplizierten ethnischen Verhältnisse in Südosteuropa.

1861 wurden die historischen Regionen Walachei und Moldau in Gestalt des Fürstentums Rumänien erstmals zu einem Staat im modernen Sinn vereint. Dieser rumänische Nationalstaat, der zunächst unter der formalen Oberhoheit des Sultans verblieb, erreichte 1878 im Berliner Kongress die vollkommene Unabhängigkeit und versuchte – seit 1881 nunmehr als Königreich – an der Aufteilung der europäischen Teile des Osmanischen Reiches zu partizipieren.

Mit Russland, das die Schwarzmeerregion unter seine Kontrolle zu bekommen und sich als Schutzmacht über die Balkanslawen zu etablieren versuchte, traf Rumänien auf einen übermächtigen Gegner. Der junge rumänische Staat fand einerseits Verbündete in Frankreich (hier vor allem in Hinsicht auf den kulturellen Austausch), andererseits in Österreich-Ungarn. Wien war in den Augen Bukarests der „natürliche“ strategische Partner bei der Eindämmung des als panslawistische Bedrohung empfundenen Expansionsdrangs der Nachbarstaaten Russland, Serbien und Bulgarien.

Im 1883 geschlossenen Bündnis zwischen Kaiser Franz Joseph und König Carol I. von Rumänien spielte Bukarest die Rolle des Juniorpartners und konnte daher seine Schutzmachtfunktion über die rumänische Minderheit in Ungarn nur sehr beschränkt ausüben.

Eine besondere Belastungsprobe für die Beziehungen der beiden Staaten brachte der Erste Weltkrieg mit sich. Rumänien entschied sich zunächst für eine Neutralitätspolitik, auch als Ausdruck der Verstimmung angesichts der repressiven Politik Budapests gegenüber den ungarischen Rumänen. 1916 wechselte Rumänien schließlich ins Lager der Entente-Mächte und startete eine Offensive gegen Siebenbürgen. Der Kriegsschauplatz verlagerte sich jedoch bald in die rumänischen Kerngebiete, und Rumänien wurde in einer konzertierten Aktion von den Mittelmächten besetzt und war fürs Erste als Motor der rumänischen Einigungstendenzen ausgeschaltet. 

Eine neue Dynamik entwickelte sich erst unmittelbar gegen Ende des Kriegs. Angesichts der wachsenden Auflösungserscheinungen der Habsburgermonarchie wollten auch die bisher in einer passiven Position verharrenden Rumänen die Weichen für eine unabhängige nationale Zukunft stellen. Im Oktober 1918 konstituierte sich in Budapest der Zentrale Rumänische Nationalrat aus Vertretern der trans- und cisleithanischen Rumänen mit dem Ziel der Vereinigung mit Rumänien.

Rumänische Truppen besetzten daraufhin Mitte November 1918 die Bukowina, und am 1. Dezember 1918 verkündete die Volksversammlung in Karlsburg (rumän.: Alba Julia) die Union der Siebenbürger Rumänen mit ihren Volksgenossen in Rumänien, nachdem zuvor ein verzweifeltes letztes Angebot der ungarischen Regierung bezüglich einer Föderalisierung Ungarns abgelehnt worden war.

Am 11. Dezember 1918 anerkannte die rumänische Regierung in Bukarest unter König Ferdinand diesen Beschluss, wodurch man vollendete Tatsachen schuf, die im Vertrag von Trianon 1920 völkerrechtlich abgesichert wurden. Siebenbürgen und die Bukowina sowie der östliche Teil des Banats wurden trotz zahlreicher ethnischer Minderheiten (Magyaren, Deutsche, Ukrainer) Rumänien zugesprochen.

Bibliografie 

Hitchins, Keith: Die Rumänen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 585–625

Hoensch, Jörg K.: Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1999

Kahl, Thede: Rumänien. Band 1: Raum und Bevölkerung. Geschichte und Geschichtsbilder (= Österreichische Osthefte 48), Wien 2008

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

    Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bildete einen mehr oder weniger stabilen Rahmen für die Koexistenz einer Vielzahl nationaler Gemeinschaften.

    Die viel beschworene „Einheit in der Vielfalt“ wurde in der Realität von zahlreichen Ungleichheiten überschattet. Dies zeigte sich vor allem im unterschiedlichen Ausmaß, in dem einzelne Sprachgruppen an der politischen und ökonomischen Macht beteiligt waren.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Nationale Standpunkte zum Krieg

    Die Habsburgermonarchie als staatlicher Rahmen für die kleineren Nationalitäten Zentraleuropas wurde bis 1914 kaum ernsthaft in Frage gestellt, weder von innen noch von außen. Bei Ausbruch des Krieges betonten die Vertreter der Nationalitäten zunächst ihre Loyalität zu den Kriegszielen der Habsburgermonarchie.

  • Entwicklung

    Nationalitätenpolitik im Vielvölkerreich

    Am Beginn des Zeitalters der Nationswerdung diente das Reich der Habsburger als Treibhaus für die Entwicklung nationaler Konzepte für die Völker Zentraleuropas.  Später wurde der staatliche Rahmen der Doppelmonarchie jedoch immer öfter als Hindernis für eine vollkommene nationale Entfaltung gesehen.