Rumänen versus Magyaren: Konfliktherd Siebenbürgen

Unabhängig vom ethnischen Hintergrund existierte unter den siebenbürgischen Rumänen anfänglich ein stark ausgeprägtes Bewusstsein der Zugehörigkeit zur ungarischen Krone. Das Bekenntnis zum Ungarntum schwand jedoch nach 1867 als Reaktion auf die Magyarisierung der ungarischen Reichshälfte.

Nationale Ansprüche auf Siebenbürgen stellten nicht nur die Rumänen, die hier die zahlenmäßige Mehrheit stellten, sondern auch die ethnischen Ungarn. Die Magyaren sahen (und sehen) in Siebenbürgen einen integralen Bestandteil ihres nationalen Territoriums: Hier existierte im Zeitalter der Türkenkriege von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis um 1700 neben dem habsburgischen Königreich in Nordwestungarn und dem türkisch kontrollierten Zentral- und Südungarn ein eigenständiges Großfürstentum Siebenbürgen. In diesem zwischen den Machtblöcken lavierenden Pufferstaat lebte in der nationalmagyarischen Interpretation Ungarn als unabhängiger Staat weiter. Auch die Szekler, ein den Magyaren verwandter und im äußersten Osten des siebenbürgischen Karpatenbogens ansässiger Volksstamm, galten als „Hort des Magyarentums“, denn hier hätten sich archaische magyarische Gebräuche dank der isolierten Lage am authentischsten bewahrt.

Der 1867 geschlossene Österreichisch-Ungarische Ausgleich bedeutete einen Rückschlag für die ungarischen Rumänen. Der ungarische Staatsapparat ging mit großem Eifer daran, das Königreich Ungarn in einen magyarischen Nationalstaat umzugestalten. Siebenbürgen hatte seinen Status als eigenständiges Kronland wieder verloren, der nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution von Wien zum Zwecke der Schwächung der magyarischen Politik gewährt worden war. Es wurde wieder nach Ungarn eingegliedert, wodurch die rumänische Volksgruppe neuerlich der Magyarisierungspolitik ausgesetzt war.

Selbst die Einführung des Parlamentarismus bedeutete für die Rumänen keine Verbesserung der politischen Mitspracherechte, diskriminierte sie doch das ungarische Wahlrecht, das sich nach der Steuerleistung richtete. Die sozial und ökonomisch meist den unteren Schichten angehörenden Rumänen waren nur durch eine Handvoll Abgeordneter im Budapester Parlament vertreten, wo sie von der magyarischen Übermacht regelmäßig niedergestimmt wurden.

Die Politisierung der Massen ging in der rumänischen Gesellschaft sehr langsam vor sich. Der Großteil der rumänischsprachigen Bevölkerung bestand aus Kleinbauern, Waldarbeitern und Viehhirten, die ökonomisch und sozial kaum von der Modernisierungswelle des 19. Jahrhunderts erfasst wurden. Die national-rumänische Bewegung konzentrierte sich deshalb auch auf den Aufbau eines agrarischen Genossenschaftswesens und die Gründung von Vereinen, die in der dörflichen Lebenswelt verankert waren. So war die Arcași-Bewegung als Mischung aus Dorffeuerwehr und nationalem Stoßtrupp perfekt auf die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung abgestimmt.

Als Reaktion auf die massive Magyarisierungspolitik im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als repressive Maßnahmen des ungarischen Staatsapparates im Bereich des Schulwesens und der offiziellen Verwendung von Orts- und Landschaftsnamen von den ethnischen Minderheiten Ungarns zunehmend als Bedrohung der nationalen Existenz gewertet wurden, radikalisierten sich auch die Führer der rumänischen Nationalbewegung.

So war die 1881 gegründete Rumänische Nationalpartei (Partidul Naţional Român) an sich gemäßigt und bekannte sich im Sinne des Hungarismus zur ungarischen Krone, forderte aber eine Autonomie Siebenbürgens. In einem Memorandum an Kaiser Franz Joseph fassten Vertreter der Partei 1892 ihre Beschwerden zusammen. Der Kaiser verwies die Beschwerdeführer an die ungarische Regierung, die jedoch eine Diskussion darüber rundweg verweigerte, die Sprecher verhaften ließ und die Partei verbot. Maßnahmen dieser Art trugen dazu bei, dass die langsam entstehende rumänische Bildungsschicht zunehmend in die Hände des Irredentismus getrieben wurde und in einer Vereinigung mit Rumänien die einzige Lösung sah. 

Bibliografie 

Gogolák, Ludwig: Ungarns Nationalitätengesetze und das Problem des magyarischen National- und Zentralstaates, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 1207–1303

Hanák, Péter: Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Essen 1988

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Hoensch, Jörg K.: Geschichte Ungarns 1867–1983, Stuttgart 1984

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1999

Kahl, Thede: Rumänien. Band 1: Raum und Bevölkerung. Geschichte und Geschichtsbilder (= Österreichische Osthefte 48), Wien 2008

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    „Viribus unitis“ oder Völkerkerker?

    Der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn bildete einen mehr oder weniger stabilen Rahmen für die Koexistenz einer Vielzahl nationaler Gemeinschaften.

    Die viel beschworene „Einheit in der Vielfalt“ wurde in der Realität von zahlreichen Ungleichheiten überschattet. Dies zeigte sich vor allem im unterschiedlichen Ausmaß, in dem einzelne Sprachgruppen an der politischen und ökonomischen Macht beteiligt waren.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.