Die „Habsburg-Krise“

Otto Habsburg-Lothringen wuchs als Symbolfigur des Legitimismus auf. Er verwendete diesen Ausdruck bewusst verschleiernd: Als Politiker legte er den Begriff als Unterstützung einer jeglichen legitimen und rechtmäßigen Staatsform aus. Es war ihm jedoch wohl bewusst, dass im historischen Diskurs unter Legitimismus der dynastische Monarchismus verstanden wurde.

In den 1950er Jahren begann er seinen Standpunkt zu ändern: Nicht mehr die Wiedereinführung der Monarchie, sondern das Ideal eines vereinten Europas, das christlichen und demokratischen Werten verpflichtet sein sollte, wurde nun sein Thema.

Der politische Sinneswandel wurde jedoch vom Beginn der Habsburg-Krise in der österreichischen Innenpolitik überschattet, was zu einem ernsthaften Zerwürfnis der Koalitionsregierung zwischen ÖVP und SPÖ unter der Führung von Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) führte.

Was war geschehen? Im Mai 1961 unterschrieb Otto die geforderte Verzichtserklärung und erklärte seinen Austritt aus dem Haus Österreich, womit er allfällige Ansprüche auf die Thronrechte, die aus seiner Abkunft aus der ehemaligen Kaiserdynastie abzuleiten wären, zurücklegte. Per Gesetz war es Otto nun verboten, sich „Otto von Österreich“ zu nennen; stattdessen sollte er sich als „Dr. Otto Habsburg-Lothringen“ bezeichnen.

Die Bundesregierung verweigerte dennoch seine Einreise nach Österreich mit dem Hinweis auf strittige Vermögensfragen. Otto wandte sich daraufhin an den Verfassungsgerichtshof, der ihm 1963 Recht gab. Die SPÖ gab ihren Widerstand gegen eine Einreise Ottos jedoch nicht auf, was zu einer Regierungskrise führte.

Nach dem Regierungswechsel von 1966, als die ÖVP nun die Alleinregierung innehatte, wurde Otto eine Einreise ermöglicht. Otto fuhr am 31. Oktober 1966 auf Kurzbesuch nach Innsbruck, reiste jedoch noch am selben Tag wieder aus. Dennoch führte dies zu massiven Protesten des linken Lagers, worauf es am 2. November zu einem Streik von 250.000 ArbeitnehmerInnen kam.

Erst nach der Versöhnung mit der sozialdemokratischen Partei unter der ab 1970 amtierenden Regierung Kreisky glätteten sich die Wogen, und das Verhältnis beider politischer Lager zum „letzten Kronprinzen“ normalisierte sich.

Bibliografie 

Baier, Stephan; Demmerle, Eva: Otto von Habsburg, Die Biografie. 5. Aufl., Wien 2007

Brook-Shepherd, Gordon: Otto von Habsburg. Biografie, Graz-Wien-Köln, 2002

Riedl, Joachim: Ein letzter Hauch der Monarchie. Mit dem Tod von Otto Habsburg geht ein Kapitel österreichischer Geschichte endgültig zu Ende. In: Wochenzeitung Die Zeit, Nr. 28, 7. Juli 2011, Österreich-Ausgabe, S. 14.

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Nach dem Krieg

    Mit dem Ersten Weltkrieg ging das „lange 19. Jahrhundert“ zu Ende. An die Stelle der monarchischen Imperien traten neue politische Player. Die k. u. k. Monarchie zerfiel in einzelne Nationalstaaten. Im November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich proklamiert, im Oktober 1920 Österreich als Bundesstaat errichtet. Die Jahre nach dem Krieg waren überaus bewegt: Sie changierten in einem Spannungsverhältnis von Aufbruch und Niederlage, zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Errungenschaften und Rückschlägen.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Habsburgermythos – Die Dynastie vor und nach 1918

    Die Dynastie Habsburg-Lothringen bildete das ideologische Fundament der Habsburgermonarchie, denn die Existenz des Vielvölkerstaates ist in erster Linie als Produkt der dynastischen Geschichte des Herrscherhauses zu verstehen.